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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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nichts bedeuten, das ist hier immer so, auch bei den Nachbarn. Marco klingelt, nichts tut sich.
    «Er weiß doch, dass wir kommen!?», frage ich.
    «Ja, er weiß es, aber wenn er sofort aufmachen würde, könnten wir denken, dass er scharf auf unseren Besuch ist.»
    Wir warten. Die Tüte mit den Einkäufen schneidet in meine Hände, also stelle ich sie auf die Straße, die nicht asphaltiert ist, sondern aus großen Steinquadern besteht, deren Kanten 91
    abgerundet sind. Schönes, abgenutztes Straßenpflaster. Ich habe reichlich Zeit, es mir anzusehen, denn in der ersten Etage tut sich – nichts. Marco wirft ein paar kleine Steine gegen die Fensterlädchen, die einen unvermutet großen Krach machen.
    Schließlich wird ihm das zu blöd, und er ruft seinen Freund auf dem Handy an.
    «Fabio? Was zum Schwanz 1 machst du denn da in deiner Wohnung? Natürlich sind wir das, wer denn sonst? – Jetzt mach die Tür auf.»
    Der Summer summt, wir gehen rein. Fabio empfängt uns in einer Art Kimono, den er aber nicht geschlossen hat. Darunter trägt er eine schwarze Unterhose und sonst nichts. Obwohl er seit über einer Woche Tag und Nacht in der abgedunkelten Wohnung verbringt, sieht seine Haut nicht blässlich aus, im Gegenteil. Er hält ein Glas Eistee in der Hand und begrüßt uns überschwänglich. Dann setzen wir uns ins Wohnzimmer, wo der Fernseher und eine kleine Höhensonne ein sehr ma-busehaftes Licht verbreiten. Fabio baut einen Joint. Ihm dabei zuzusehen macht mehr Spaß, als das Ding zu rauchen, denn was da genau verbrennt, kann man nicht mit Sicherheit sagen.
    Tee? Alte Bananenschale? Socken?
    Marco erzählt ihm von unserer Absicht, später am Tag nach Termoli, dem wunderbarsten Ferienort Italiens, zu fahren.
    Wir werden zu achtzehn! sein. Und Fabio? Was hat der noch vor?
    «Ich muss Briefe schreiben.»
    «Aus dem Urlaub?», frage ich freundlich, aber es ist schon 1 Wörtliche Übersetzung des ziemlich derben Ausdrucks « Che cazio fai?». Wird oft benutzt. Man bekommt aber zu Hause Ärger, wenn man es beim Essen sagt. Bedeutet so viel wie «Was zum Teufel machst du?»
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    zu spät. Er sieht mich an, als hatte ich seine Vespa umgekippt, und antwortet nicht mehr. Er verschwindet in der Küche und macht die Tür hinter sich zu. Ganz klar: Er ist beleidigt.
    Wir verabschieden uns, indem wir Grußformeln in die Kü-
    che rufen. Als wir wieder auf der Straße stehen, macht Marco mir Vorwürfe. «Wie kannst du Fabio nur so beleidigen.»
    «Kann das sein, dass ihr zwei einen an der Waffel habt?»
    «Du verstehst das nicht. Die Sache ist zu ernst, um darüber Witze zu machen. In ein paar Tagen muss Fabio wieder bei der Arbeit sein, und du versaust ihm den Urlaub. »
    «Welchen Urlaub?»
    «Fängst du schon wieder davon an? Man redet nicht drü-
    ber.»
    Ich lerne also, dass ein Tabu hier unten wirklich ein Tabu ist.
    Es gibt noch weitere. Auch über die Mafia wird nicht gesprochen, das M-Wort wird nicht einmal in ganz harmlosen Zusammenhängen benutzt. Und über Sex darf man nicht reden, man darf noch nicht einmal ein harmloses Witzchen dar-
    über machen. Einmal habe ich es bei meinem Schwiegervater versucht, und das war wirklich ein Debakel.
    Er saß bei uns zu Hause am Tisch und bekam sein Früh-stück: lecker Wurstbrot und einen Espresso. Ich selbst machte mir Milch warm und schüttete einen Espresso hinein. Dann sagte ich zu Antonio: «Wenn man eine Latte Macchiato zum Frühstück trinkt, dann ist das was? Häh?» Er zuckte mit den Schultern, und ich rief triumphierend: «Eine Morgenlatte.»
    Was für ein Spitzenwitz! Fand ich. Antonio sah mich mit einer Mischung von Abscheu und Mitleid an und trank aus seinem Tässchen. Dann sagte er ernst: «Komisch, dassi gegeben habe mein Tockter für so ein Esel.» Ich habe nie wieder einen anzüglichen Scherz in seiner Gegenwart gemacht.
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    Die Fahrt nach Termoli geht überraschend stressfrei über die Bühne. Alle Mitreisenden aufzuzählen kostet Kraft, daher hier nur ganz kurz. Meine Frau und ich haben Nonna Anna und Cousin Marco dabei. Sie fahren bei uns mit, weil sie nicht so viel Gepäck haben. Bei mir passt kaum noch etwas rein, denn ich habe ja meine Matratze dabei. Meine Schwiegereltern haben Antonios Schwester Maria (meine Lieblingstante) und ihren Mann Egidio dabei, die beiden sind Marcos Eltern.
    Noisy Raffael und seine Frau Maria (ja, Maria, davon gibt es in der Familie mehr als zwei Dutzend) sind ebenfalls mit von der Partie, sie haben ihren Sohn Gianluca und

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