Jan Weiler Antonio im Wunderland
Halle Berry genau neben Benno, Antonio und mir Spargel essen würden? Da könnte ich nicht mit umgehen. Ich lotse die Jungs also zum Bryant Park Grill, dort geht angeblich Woody Allen hin. Da dieser aber garantiert nicht irgendwo auftaucht, wo deutsche Touristen ihn fotografieren könnten, fühle ich mich bei der Entscheidung einigermaßen wohl.
Wir erhalten einen Tisch zwischen Jerry Seinfeld und der Toilette, was Benno spontan zu einer Lobeshymne auf den Kellner veranlasst («Da Jung kennt die Bedürfnisse seiner Gäste.»), und als dieser die Speisekarte bringt, stellt Antonio seine obligatorische Frage nach der womöglich italienischen 168
Herkunft des Kellners. Er kommt aber aus Kanada. Die alten Männer schauen in die Karte und werden nicht schlau aus ihr.
«Der soll ein italienisch Karte bringene.»
«Die gibt's hier bestimmt nicht. Warum auch? Das ist ein amerikanisches Restaurant in Amerika. Die lesen gern alles auf Englisch», zische ich ihm zu. Ich habe keine Lust auf einen weiteren Antonio-Auftritt und bestelle drei Club Sandwiches und für Antonio außerdem Nudeln. Er kann keinen Tag seines Lebens ohne Nudeln auskommen.
Benno macht ein paar Fotos mit seiner Pocket-Kamera, dann fragt er mich: «Und wo gibtet jetz’ die Rauchverzehrer?»
Ich habe keine Ahnung, was er meint.
«Was für Dinger?»
Das Essen kommt. Riesige Portionen. Benno vergisst dar-
über, mir zu antworten, und reißt das Sandwich. Aber dann kommt er doch wieder aufs Thema zurück. Zehn Minuten sind vergangen, aber er antwortet mir, als hätte ich ihn gerade erst gefragt.
«Rauchverzehrer. Ich sammel die.»
«Aha, und was sind Rauchverzehrer?»
Diesmal ignoriert er meine Frage und antwortet auf eine andere, die niemand gestellt hat.
«Da Toni hätt jesaaht, hier gibbet Rauchverzehrer. Sonst war isch doch jar nit mitjekommen.»
Klingt interessant. Benno hat Antonio erzählt, er sei ein ast-reiner Übersetzer, und Antonio hat ihm gesagt, in New York gäbe es massenhaft Rauchverzehrer. Ich finde, die beiden verdienen einander.
«Und jetzt willst du also einen Rauchverzehrer?», frage ich sanft. Wir müssen uns behutsam an dieses Thema heran-tasten.
169
«Besser zwei. Oder drei.»
«Antonio, was meinst du dazu? Vielleicht weiß ja Mauro, wo wir hier einen Rauchverzehrer bekommen, hä?»
«Vielleichte weiß er, du biste kluuug, du biste ein gute Charakter mit viel Intelligenz.»
Ich stochere in einem großen Haufen Pommes frites herum und fühle mich wie der Landvermesser bei Kafka. Ich komme keinen Schritt weiter, im Gegenteil, alles wird immer komplizierter. Und meine beiden Rentner hier tun so unbeschwert, als stünden sie an einem Kiosk am Niederrhein und tränken Feigenschnaps. Eigentlich bin ich neidisch auf sie.
«Benno, wenn du mir sagst, was ein Rauchverzehrer ist, dann suchen wir auch danach, einverstanden?»
Das gefällt Benno, er setzt sich aufrecht hin und legt den Kopfschief, um dann tief Luft zu holen. Nach einem Monolog, der wie eine presbyterianische Predigt klingt und gut ein Viertelstündchen dauert, bin ich über die Geschichte und die Funktion unterschiedlicher Rauchverzehrtechniken und Rauchverzehrermodelle besser informiert 1 als die meisten anderen Menschen auf der Welt. Auch haben wir das Sammelge-biet eingeschränkt. Da Benno und seine Mutter (sie ist maß-
geblich an der Tiggelkamp’schen Rauchverzehrersammlung 1 Kurz gefasst und somit ohne jede Rücksichtnahme auf die Seelen leidenschaftlicher Rauchverzehrerkenner lässt sich ein Rauchverzehrer als ein Gerät definieren, welches Tabakrauch aufsaugt und die Zimmerluft erfrischt. Früher standen diese Dinger aus Porzellan in Herrenzimmern, wo Herren Zigarren rauchten und sich über den Versailler Vertrag beschwerten, später auf dem Fernseher. Manche haben leuchtende Augen.
Mehr muss man darüber nicht wissen, zumal der Rauchverzehrer innen-einrichtungstechnisch so was von aus der Mode ist.
170
beteiligt) bereits eine unübersehbare Anzahl von Buddhas und Pagoden aus Porzellan ihr Eigen nennen, hat er sich bereits seit einigen Jahren auf Hunde kapriziert und sucht nach Terriern und Möpsen. Sie müssen noch funktionstüchtig sein, und am besten elektrisch.
Donnerwetter, denke ich. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich in New York einen verschollenen Architekten und einen Rauchverzehrermops suchen werde. Das ist schon eine ganz tolle Karriere für einen einfachen Schwiegersohn. Ich zahle und gebe dem kanadischen Kellner ein gutes
Weitere Kostenlose Bücher