Jan Weiler Antonio im Wunderland
Minute pro Stunde. Ich habe das Ding gestern Abend gestellt, seitdem sind knapp 24 Stunden vergangen. Diese billige Fälschung wird inzwischen ordentlich hinterherhinken, besonders wenn auch noch die Minuten- und Stundenzeiger klemmen.
Ich erkundige mich bei einer studentischen Hilfskraft in 213
einem schicken Computershop in SoHo nach der Uhrzeit.
Wahrscheinlich ist der Junge gar kein Student, sondern Milliardär, das weiß man ja hier nie so richtig. Jedenfalls sagt er mir, dass es kurz vor acht sei. Meine Canal-Street-Uhr sagt Viertel vor sieben.
Au Backe, wir sind um acht Uhr im Restaurant verabredet.
Ich hatte mir fest vorgenommen, mindestens zehn Minuten vorher da zu sein, damit sich Antonio keine Gedanken macht.
Ich sehe in den Stadtplan und suche mir den Weg zusammen.
Wenn ich mich sehr beeile, kann ich das in zwanzig Minuten schaffen. Ich laufe los und schmeiße die Uhr unterwegs in einen Abfallkorb.
Im Restaurant angekommen, bin ich schweißüberströmt.
Ich lasse mich von einem Mädchen, das kurz vor einer Karriere als Supermodel steht, an unseren Tisch bringen, und da sitzen sie bereits: Antonio Marcipane und Benno Tiggelkamp, umringt von allerlei Einkäufen. Ich setze mich, und Antonio sagt, dass er sehr erfreut sei, mich zu sehen, und dass er sich die ganze Zeit Sorgen um mich gemacht habe, weil ich immer so verkrampft sei im Ausland. Da kann sogar etwas dran sein.
Der Kellner, ein schwarzer Hüne mit Glatze, kommt an unseren Tisch, und Antonio lässt es sich mal wieder nicht nehmen, ihn zu fragen, ob er Italienisch könne, was der Mann freundlich verneint. Er notiert unsere Getränkewünsche. Als er wieder verschwunden ist, nehme ich Antonio ins Gebet.
«Du kannst nicht immer jeden Menschen fragen, ob er Italienisch kann. Wir sind in Amerika. Hier wird englisch gesprochen. Warum sollte also ausgerechnet dieser Typ Italienisch können?»
«Man weiße nie so genau.»
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«Tu mir einfach den Gefallen und frage nicht dauernd, ob die Leute Italienisch sprechen, okay?»
«Okeeh, Chef.»
Ich lasse mich in die Lehne meines Stuhles sinken. Das Restaurant ist noch nicht sehr gut besucht, die meisten Städter gehen spät essen. Das wollte ich aber nicht, Ursula hat mir eingeschärft, dass Toni nicht nach 21 Uhr tafeln solle, er kön-ne dann so schlecht schlafen. Das Ambiente ist von postmo-derner Eleganz, ich muss damit rechnen, dass meine Kreditkarte heute Abend schlapp macht. Das Restaurant hat einen italienischen Namen und wird hauptsächlich von schönen essgestörten Menschen besucht. Die Frauen tragen ganz kleine Handtaschen, in die nicht viel mehr hineinpasst als eine Zahnbürste. Die brauchen sie auf jeden Fall nach dem Dinner, wenn sie auf die Toilette gehen, um die getrüffelte Pasta, die Wachteln und die Zabaione wieder loszuwerden. So stelle ich mir das Leben in der Upper Class vor.
Der schwarze Riese stellt unsere Getränke auf den Tisch.
Antonio sieht mich kurz an, beugt sich zum Kellner vor, und fragt ihn dann: «Hablamos espahol?» Der Mann verneint abermals freundlich, allerdings mit Nachdruck, und ich lasse meinen Kopf in meine Hände fallen.
«Heedu, war bloß eine Witz. Habi eine kleine Satire mit dir gemachte. Bini lustig?»
«Und wie», muss ich gestehen. Wir stoßen an. Für einen kurzen Zeitraum ist alles so, wie man sich das vorstellt.
Kein Theater, kein Gebrüll, nur Zufriedenheit und Hunger und eine selbstbewusste Speisekarte für selbstbewusste Menschen, die ihr Geld mit dem Handel mit Geld oder Waffen verdienen. Mir egal, Hauptsache, meinen Rentnern ist nichts zugestoßen. Ich erkundige mich, was sie den ganzen Tag getrieben haben, aber es ist nicht viel aus ihnen herauszube-215
kommen. Sie seien da und dort gewesen, sagt Antonio. Und es habe ihnen ganz gut gefallen. Benno deutet auf ein recht hässliches Gewächs in einem Blumentopf, der auf dem Tisch steht. «Habisch mir jekauft», sagt er. Ich habe es zuvor für Tischdeko gehalten.
«Und was ist das?»
Benno sieht die Pflanze lange an. Dann ergreift er sein Glas, nimmt einen tiefen Schluck Bier, sieht sich im Restaurant um, steht auf und geht auf die Toilette. Ich sehe in die Speisekarte und übersetze geduldig meinem Schwiegervater alle Positio-nen, die ich selber verstehe. Benno kehrt zurück und setzt sich hin.
«Datis ene Pflanze.»
«Ach, eine Pflanze ist das! Vielen Dank. Und was für eine?», frage ich. Ich rechne mit einer Antwort nicht vor dem Hauptgang, aber Benno ist in Plauderlaune.
«Datis
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