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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Georgiana – aber nicht jene Georgiana, an die ich mich erinnerte, jenes schlanke, blonde Mädchen von elf Jahren. Diese hier war ein voll erblühtes, sehr fülliges Fräulein, hell wie Wachs, mit schönen, regelmäßigen Zügen, schmachtenden blauen Augen und lockigem gelben Haar. Auch sie trug ein schwarzes Kleid; der Schnitt desselben war aber sehr verschieden von dem ihrer Schwester, viel kleidsamer und graziöser – es war so modisch, wie das andere puritanisch war.
    Jede der beiden Schwestern hatte einen Zug von derMutter – doch nur einen einzigen. Die magere, blasse, ältere Tochter hatte die hervorstehenden Augen, das blühende, üppige, jüngere Mädchen hatte ihr Kinn. Vielleicht waren hier die Linien ein wenig gemildert, aber dennoch gaben sie dem sonst so schelmischen, üppigen Gesicht einen Zug von unbeschreiblicher Härte.
    Als ich näher kam, erhoben sich beide, um mich zu begrüßen, und beide redeten sie mich mit dem Namen ›Miss Eyre‹ an. Elizas Gruß wurde in kurzer, abrupter Weise ausgesprochen, ohne dass sie bei ihren Worten auch nur eine Miene verzogen hätte. Nach der Begrüßung setzte sie sich wieder, heftete ihre Blicke auf das Kaminfeuer und schien meine Anwesenheit nicht weiter zu bemerken. Georgiana fügte ihrem »Guten Tag!« noch mehrere alltägliche Bemerkungen über meine Reise, das Wetter und dergleichen hinzu. Sie sprach in langsam gezogenem, schnarrendem Ton und maß mich dabei seitwärts mit vielsagenden Blicken von Kopf bis zu Fuß; bald musterte sie den Faltenwurf meines braunen Merino-Pelzmantels, bald weilte ihr Auge auf dem sehr einfachen Schnitt meiner Haube. Junge Damen haben eine merkwürdige Art, einen Menschen wissen zu lassen, dass sie ihn für einen Dummkopf halten, ohne das Wort geradezu auszusprechen. Ein gewisser Hochmut im Blick, Kälte im Wesen, Nonchalance im Ton drücken hinlänglich ihre Gefühle und Ansichten in dieser Beziehung aus, ohne dass sie sich noch besonders durch Unhöflichkeit in Wort oder Tat zu kompromittieren brauchen.
    Ein Naserümpfen, ob nun versteckt oder offen, machte jetzt nicht mehr denselben Eindruck auf mich, den es früher zu machen pflegte. Als ich so dasaß zwischen meinen Cousinen, war ich ganz erstaunt zu finden, wie gleichgültig mir die vollständige Missachtung der einen und die halb sarkastische Höflichkeit der andern war. Eliza vermochte mich nicht zu demütigen, Georgiana konnte mich nicht aus meinem Gleichmut bringen.
    In der Tat, ich hatte andere Dinge zu bedenken. Während der letzten Monate waren Gefühle und Empfindungen in mir wach geworden, die so viel mächtiger waren als irgendwelche, die sie zu erregen vermochten – Schmerzen und Freuden hatten in mir getobt, die so viel heftiger gewesen waren als irgendeine Regung, die sie hervorzurufen imstande gewesen wären. Die Mienen dieser beiden Damen konnten mich weder freudig noch traurig stimmen.
    »Wie befindet sich Mrs. Reed?«, fragte ich alsbald, wobei ich Georgiana ruhig ins Gesicht blickte. Diese hielt es für passend, bei dieser direkten Frage aufzufahren, als sei es eine ganz unerlaubte Freiheit, die ich mir erlaubte.
    »Mrs. Reed? Ah! Mama meinen Sie; sie ist außerordentlich krank. Ich glaube nicht, dass Sie sie heute Abend noch sehen können.«
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie hinaufgehen würden, um ihr mitzuteilen, dass ich gekommen bin.«
    Georgiana schreckte förmlich empor und riss ihre blauen Augen weit und wild auf.
    »Ich weiß, dass sie den besonderen Wunsch geäußert hat, mich zu sehen«, fügte ich hinzu, »und ich möchte die Erfüllung dieses Wunsches nicht weiter hinausschieben, als absolut notwendig ist.«
    »Mama mag es nicht, wenn man sie am Abend noch stört«, bemerkte Eliza. Bald darauf erhob ich mich, nahm ruhig und unaufgefordert meine Haube und meine Handschuhe ab und sagte, dass ich für einen Augenblick zu Bessie hinausgehen wolle. Diese sei vermutlich in der Küche, und ich wolle sie bitten, sich zu vergewissern, ob Mrs. Reed mich heute Abend noch sehen wolle oder nicht. Ich ging, und nachdem ich Bessie gefunden und sie mit meinem Auftrag hinaufgeschickt hatte, fuhr ich fort, weitere Maßregeln zu ergreifen.
    Bis jetzt war es stets meine Gewohnheit gewesen, mich vor jeder Arroganz zurückzuziehen, förmlich vor derselbenzu fliehen. Hätte man mich vor einem Jahr so empfangen, wie man mich heute in Gateshead empfing, so würde ich das Haus am nächsten Morgen wieder verlassen haben. Jetzt sah ich aber plötzlich ein, dass

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