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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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das ein sehr törichtes Verhalten gewesen wäre. Ich hatte eine Reise von über hundert Meilen gemacht, um meine Tante zu sehen, und ich musste jetzt bei ihr bleiben, bis es ihr besser ging oder bis sie starb. Den Stolz und die Dummheit ihrer Töchter musste ich unbeachtet lassen – mich vollständig unabhängig davon machen. Ich wandte mich also an die Haushälterin und bat sie, mir ein Zimmer anzuweisen; ich sagte ihr, dass ich wahrscheinlich ein oder zwei Wochen als Gast hier im Hause weilen würde, ließ meinen Koffer auf mein Zimmer bringen und ging dann selbst hinauf.
    Auf der Treppe begegnete mir Bessie.
    »Die Missis ist wach«, sagte sie. »Ich habe ihr erzählt, dass Sie da sind. Kommen Sie und lassen Sie uns sehen, ob sie Sie erkennen wird.«
    Ich bedurfte keines Führers nach dem wohlbekannten Zimmer: Wie oft war ich in früheren Tagen hineingerufen worden, um einen Verweis oder eine Strafe zu bekommen. Ich eilte Bessie voran und öffnete vorsichtig und leise die Tür. Die Lampe auf dem Tisch war durch einen Schirm verdeckt. Da stand das große Himmelbett mit den bernsteinfarbenen Vorhängen noch wie in alten Zeiten, dort der Toilettentisch, der Lehnstuhl und der Fußschemel, auf dem zu knien ich Hunderte Male verurteilt gewesen war. Wie oft hatte ich dort Verzeihung für Sünden erbitten müssen, die ich niemals begangen hatte. Ich blickte in eine bestimmte Ecke und erwartete, die einst so gefürchtete Reitgerte zu sehen, die dort auf mich zu lauern pflegte und nur darauf wartete, wie ein böser Kobold herauszuspringen und auf meinem Nacken oder meinen Armen umhertanzen zu können. Ich näherte mich dem Bett, zog die Vorhänge zurück und beugte mich über die hoch aufgetürmten Polster.
    Gar wohl erinnerte ich mich des Gesichts von Mrs. Reed und eifrig suchte ich nach den bekannten Zügen. Es ist wahrlich ein Glück, dass die alles mildernde Zeit auch die Rachsucht erstickt und die Eingebungen der Wut und des Abscheus besänftigt. Ich hatte diese Frau in Bitterkeit und Hass verlassen, und jetzt kehrte ich mit keiner anderen Empfindung zu ihr zurück, als mit einer Art von Erbarmen über ihr großes Leid und einem innigen Verlangen, alles Unrecht zu vergeben und zu vergessen – mich zu versöhnen und ihre Hand in Freundschaft zu drücken.
    Das wohlbekannte Gesicht war da: finster, streng und erbarmungslos wie immer. Da waren jene eigentümlichen Augen, deren Blick durch nichts zu besänftigen war, da die geschwungenen, herrschsüchtigen, despotischen Brauen. Wie oft hatten diese Augen drohend vor Hass und Zorn auf mich herabgeblitzt! Wie erwachte die Erinnerung an die Schrecken und den Jammer der Kindheit wieder in mir, als ich diese harten Gesichtszüge wiedererkannte! Und doch beugte ich mich zu ihr hinab und küsste sie. Sie schaute mich an.
    »Ist es Jane Eyre?«, fragte sie.
    »Ja, Tante Reed. Wie fühlen Sie sich, liebe Tante?«
    Ich hatte einmal geschworen, dass ich sie nie wieder Tante nennen wollte, aber ich hielt es für keine Sünde, jenes Gelübde in diesem Augenblick zu brechen. Meine Finger hielten ihre Hand umschlossen, welche auf der Bettdecke lag. Hätte sie die meine freundlich gedrückt, so würde ich in diesem Moment eine ehrliche Freude empfunden haben. Aber unempfindliche Naturen werden nicht so leicht erweicht, und angeborene Antipathien sind nicht so schnell auszurotten: Mrs. Reed zog ihre Hand fort, und indem sie ihr Gesicht von mir abwandte, bemerkte sie, dass es ein sehr warmer Abend sei. Und wieder blickte sie mich an, so eisig kalt, dass ich augenblicklich fühlte, dass ihre Ansichten über mich, ihre Empfindungen für mich unverändert waren,ja überhaupt keiner Änderung fähig waren. Ich sah es ihrem versteinerten Auge an, welches zu finster für jede Zärtlichkeit und zu undurchdringbar für Tränen war, dass sie sich entschlossen hatte, mich bis zum letzten Augenblick für schlecht zu halten. Mich für gut zu halten, hätte ihr keine Freude gewähren können, sondern nur eine Demütigung für sie bedeutet.
    Ich empfand Kummer, dann bemächtigte sich meiner der Zorn, und schließlich fasste ich den Entschluss, sie zu besiegen – ihre Herrin zu werden trotz ihrer hartherzigen Natur und ihres starren Willens. Die Tränen waren mir in die Augen gestiegen, gerade so, wie in den Tagen meiner Kindheit, aber ich drängte sie an ihre Quelle zurück. Dann brachte ich einen Stuhl an das Kopfende des Bettes. Ich setzte mich und beugte mich über die Polster.
    »Sie haben mich

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