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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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wofür ich lebe!«
    Nach langem Schweigen sagte ich: »Und Miss Oliver? Bedeuten ihr Kummer und ihre Enttäuschung Ihnen denn gar nichts?«
    »Miss Oliver ist stets von Bewerbern und Schmeichlern umgeben. In weniger als einem Monat ist mein Bild ausihrem Herzen gelöscht. Sie wird mich vergessen und wahrscheinlich einen Mann heiraten, der sie viel glücklicher machen wird, als ich es vermöchte.«
    »Sie sprechen sehr kühl und ruhig, aber Sie leiden in diesem Kampf. Sie reiben sich auf.«
    »Nein, wenn ich vielleicht etwas schmächtiger werde, so kommt das durch die Angst um meine Zukunft, die so wenig gesichert ist, und durch die Unruhe, welche meine fortwährend hinausgeschobene Abreise mir verursacht. Heute Morgen habe ich die Nachricht erhalten, dass mein Nachfolger, dessen Ankunft ich schon so lange erwarte, mich erst nach Ablauf von drei Monaten ersetzen kann. Und aus diesen drei Monaten werden vielleicht noch sechs.«
    »Sie zittern und erröten, sobald Miss Oliver in das Schulzimmer tritt.«
    Wiederum zeigte der erstaunte Ausdruck sich auf seinem Gesicht; er hatte bisher nicht geglaubt, dass eine Frau so zu einem Manne reden könnte. Was mich anbetraf, so fühlte ich mich ganz heimisch in dieser Art von Gespräch. Ich konnte mich im Verkehr mit starken, diskreten, feinfühligen Geistern niemals ganz zufriedengeben, bevor ich nicht über die Bollwerke konventioneller Zurückhaltung hinfortgekommen war, die Schwelle des Vertrauens überschritten und einen Platz im innersten Winkel ihres Herzens erobert hatte. So erging es mir sowohl mit Frauen wie mit Männern.
    »Sie
sind
originell«, sagte er, »und durchaus nicht schüchtern. Es liegt etwas Tapferes in Ihrem Geist und etwas Durchdringendes in Ihren Augen. Aber gestatten Sie mir, Ihnen zu versichern, dass Sie meine Empfindungen teilweise falsch deuten. Sie halten sie für tiefer und mächtiger, als sie sind. Sie lassen mir einen größeren Anteil von Sympathie zuteil werden, als ich gerechterweise beanspruchen darf. Wenn ich vor Miss Oliver erröte oder erbebe, so bemitleide ich mich nicht selbst. Ich verachte diese Schwäche. Ich weiß, sie ist unedel; nichts als ein Fieber des Fleisches,wahrlich nicht ein Erbeben der Seele, das versichere ich Ihnen. Diese ist so fest wie ein Felsen, der in den tiefsten Tiefen des tobenden Meeres wurzelt. Erkennen Sie mich als das, was ich bin – ein kalter, harter Mann!«
    Ich lächelte ungläubig.
    »Sie haben mein Vertrauen im Sturm erobert«, fuhr er fort, »und jetzt steht es Ihnen gänzlich zu Diensten. Wenn man mir das blutgetränkte Gewand herabreißt, mit welchem das Christentum menschliche Schwächen und Gebrechen bedeckt, so bin ich einfach nichts als ein harter, kalter, ehrgeiziger Mann. Von allen Gefühlen hat nur die Liebe, welche die Natur uns ins Herz gelegt hat, dauernde Macht über mich. Vernunft, und nicht Gefühl, ist meine Leiterin. Mein Ehrgeiz kennt keine Grenzen; meine Begierde, höher zu steigen, mehr zu tun als die anderen Menschen, ist unersättlich. Ich ehre die Duldung, die Ausdauer, den Fleiß, das Talent, weil diese die Mittel sind, durch welche Menschen große Zwecke erreichen und zu schwindelnder Höhe emporsteigen. Ich beobachte Ihren Werdegang mit Interesse, weil ich Sie für das Muster einer fleißigen, ordentlichen, energischen Frau halte – und nicht, weil ich etwa tiefes Mitgefühl für das hege, was Sie durchgemacht haben oder was Sie noch leiden.«
    »Sie möchten sich selbst wie einen heidnischen Philosophen hinstellen«, sagte ich.
    »Nein. Zwischen mir und den deistischen Philosophen gibt es einen Unterschied: Ich glaube, und ich glaube an das Evangelium. Sie wandten eine falsche Bezeichnung an. Ich bin nicht ein heidnischer, sondern ein christlicher Philosoph – ein Nachfolger der Sekte des Jesus Christus. Als sein Schüler nehme auch ich seine reinen, barmherzigen, milden Lehrsätze an. Ich streite für sie. Ich habe geschworen, sie zu verbreiten. Schon in der Jugend habe ich mich der Religion geweiht, und sie hat meine angeborenen Eigenschaften veredelt: Aus dem kleinen Keim der natürlichen Liebe hat sie den großen, schattenreichen Baum der Menschenliebe gemacht.Aus der wilden, zähen Wurzel menschlicher Rechtschaffenheit hat sie ein richtiges Gefühl für die göttliche Gerechtigkeit entwickelt. Aus dem Ehrgeiz, Macht und Ruhm für mein elendes Selbst zu gewinnen, hat sie den Ehrgeiz gebildet, das Reich meines Herrn zu verbreiten, Siege für die Standarte des Kreuzes zu

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