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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Reden bringen …‹
    Zuerst sagte ich: »Nehmen Sie einen Stuhl, Mr. Rivers.« Aber er antwortete wie immer, dass er nicht bleiben könne. ›Nun gut‹, sagte ich dann zu mir selbst, ›dann bleiben Sie stehen, wenn es Ihnen beliebt, aber ich habe beschlossen, dass Sie nicht so schnell wieder fortkommen, denn die Einsamkeit ist Ihnen mindestens ebenso schädlich wie mir. Ich will doch versuchen, ob ich nicht die geheime Sprungfeder Ihres Vertrauens finden und eine Öffnung in dieser Marmorbrust zu entdecken vermag, durch welche ich einen Tropfen des Balsams der Sympathie einträufeln kann.‹
    »Ist das Porträt ähnlich?«, fragte ich geradeheraus.
    »Ähnlich? Wem ähnlich? Ich habe es nicht so genau angesehen.«
    »Das taten Sie doch, Mr. Rivers.«
    Er schrak förmlich zusammen über meine plötzliche und seltsame Schroffheit. Dann blickte er mich erstaunt an. ›Oh, das ist noch gar nichts‹, murmelte ich still vor mich hin. ›Diese Kälte und Steifheit Ihrerseits soll mich durchaus nicht zurückschrecken; ich bin entschlossen, noch viel weiterzugehen.‹ Dann fuhr ich fort: »Sie haben das Bild genau und deutlich angesehen, aber ich habe nichts dagegen, wenn Sie es noch einmal anschauen.« Und ich stand auf und reichte es ihm hin.
    »Ein gut gemaltes Bild«, sagte er, »ein sehr zartes, klares Kolorit und überhaupt eine sehr anmutige und korrekte Zeichnung.«
    »Ja, ja. Das weiß ich alles. Aber was sagen Sie zu der Ähnlichkeit? Wem ist es ähnlich?«
    Nach kurzem Zögern entgegnete er: »Miss Oliver, vermute ich?«
    »Natürlich! Und jetzt, Sir, um Sie zu belohnen, weil Sie so trefflich geraten haben, will ich versprechen, Ihnen ein sorgfältiges und getreues Duplikat dieses Bildes zu malen – vorausgesetzt natürlich, dass diese Gabe Ihnen angenehm ist: Ich will doch meine Zeit und Mühe nicht an eine Arbeit verschwenden, die für Sie keinen Wert hat.«
    Er fuhr fort, das Bild anzublicken; je länger er es ansah, desto fester hielt er es und desto inniger schien er danach zu verlangen. »Es ist ähnlich«, murmelte er, »es ist sehr ähnlich! Die Augen sind prächtig getroffen; Farbe, Licht und Ausdruck sind ausgezeichnet, ganz vollkommen. Es lächelt geradezu!«
    »Würde es Ihnen gefallen oder würde es Sie verletzen, ein gleiches Bild zu besitzen? Sagen Sie mir das. Wenn Sie auf Madagaskar oder am Kap oder in Indien sind, würde es Ihnen da einen Trost gewähren, dieses Andenken in Ihrem Besitz zu haben, oder würde sein Anblick Erinnerungen heraufbeschwören, welche nur dazu angetan sind, Sie traurig und mutlos zu machen?«
    Jetzt blickte er flüchtig auf. Er sah mich an, unentschlossen, erregt, dann heftete er die Augen wieder auf das Bild.
    »Dass ich es gern besitzen möchte, ist gewiss. Ob es aber klug und ratsam wäre – das ist eine andere Frage.«
    Seit ich mich vergewissert hatte, dass Rosamond ihn wirklich bevorzugte, und dass auch ihr Vater wahrscheinlich keine Einwendung gegen eine Heirat machen würde, hatte ich – die ich weniger exaltiert war als St. John – still für mich beschlossen, ihre Verbindung zu fördern. Mich dünkte, dass, wenn er eines Tages der Besitzer von Mr. Olivers großem Vermögen werden würde, er ebenso viel Gutes stiften könnte, als wenn er hinausginge in die weite Welt, wo sein Genie unter einer tropischen Sonne dahinwelken, seine Kraft vergeudet werden würde. Und mit dieser Überzeugung antwortete ich jetzt:
    »So, wie ich die Dinge begreife, wäre es weiser und ratsamer, wenn Sie gleich das Original nähmen.«
    Inzwischen hatte er sich gesetzt. Er hatte das Bild vor sich auf den Tisch gelegt; den Kopf auf beide Hände gestützt, betrachtete er es mit zärtlichen Blicken. Jetzt merkte ich, dass meine Dreistigkeit ihn weder verletzt noch erzürnt hatte. Ich bemerkte sogar, dass er es wie eine Art neuer Freude empfand, wie eine unverhoffte Erleichterung, dass man mit ihm offen über einen Gegenstand sprach, den er bis jetzt für unantastbar gehalten hatte. Zurückhaltende Menschen bedürfen der offenen Besprechung ihrer Kümmernisse und Empfindungen in der Tat oft mehr, als die mitteilsamen. Schließlich ist der starrste Stoiker doch auch nur ein Mensch; und oft ist es die größte Wohltat, die man ihm erweisen kann, wenn man sich mit Mut, Kühnheit und Wohlwollen in die stille See seiner Seele stürzt.
    »Sie hegt eine große Neigung für Sie, dessen bin ich gewiss«, sagte ich, während ich hinter seinem Stuhl stand. »Und ihr Vater achtet Sie. Außerdem

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