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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Ungewissheit, des Zweifels.
    Vielleicht glaubst du, mein Leser, dass ich Mr. Rochester vergessen hätte, seit mein Schicksal sich gewendet und meine Umgebung sich verändert hatte? Nicht für einen einzigen Augenblick! Sein Andenken war mir stets gegenwärtig;es war nicht nur ein Nebel, den heller Sonnenschein verjagen konnte, und auch kein in den Sand gezeichnetes Bild, das von Sturmeswogen ausgelöscht werden konnte. Es war ein Name, der in eine Platte eingraviert ebenso lange bestehen musste, wie der Marmorblock, welcher ihn trug. Die Sehnsucht zu erfahren, was aus ihm geworden war, folgte mir überallhin. Als ich noch in Morton war, trat ich jeden Abend in meine Hütte, um an ihn zu denken, und jetzt in Moor House suchte ich allabendlich mein Zimmer auf, um die ganze Nacht hindurch diesem Gedanken nachzuhängen.
    Im Laufe meiner notwendigen Korrespondenz mit Mr. Briggs über das Testament hatte ich angefragt, ob er irgendetwas über Mr. Rochesters Gesundheit und seinen gegenwärtigen Aufenthalt wisse, aber wie St. John bereits vermutet hatte, befand Mr. Briggs sich in totaler Unwissenheit über alles, was Mr. Rochester anging. Dann schrieb ich an Mrs. Fairfax und flehte sie an, mir über diese Angelegenheit Auskunft zu geben. Ich hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, dass ich durch diesen Schritt meinen Zweck erreichen würde; ich war überzeugt, eine umgehende Antwort zu erhalten. Dann war ich erstaunt, als zwei Wochen vergingen, ohne dass diese Nachricht kam; als jedoch zwei Monate verflossen waren und die Post Tag für Tag eintraf, ohne irgendetwas für mich zu bringen, da fiel ich der tödlichsten Angst zum Opfer.
    Ich schrieb noch einmal, denn es bestand ja die Möglichkeit, dass mein erster Brief verlorengegangen war. Der neuen Bemühung folgte neue Hoffnung; wie die erste leuchtete sie mir einige Wochen, dann flackerte sie wie jene noch ein paar Mal auf, um wiederum gänzlich zu verlöschen. Nicht eine Zeile, nicht ein Wort! Als ein halbes Jahr in vergeblicher Erwartung verflossen war, erstarb alle Hoffnung in mir, und es ward dunkel um mich.
    Ein lieblicher Frühling erblühte ringsumher, aber ichkonnte mich nicht an ihm erfreuen. Der Sommer nahte, und Diana bemühte sich, mich zu erheitern. Sie sagte, ich sähe krank aus und erbot sich, mich an den Meeresstrand zu begleiten. Dem widersetzte sich St. John; er sagte, ich bedürfe nicht der Zerstreuung, sondern der Beschäftigung; mein jetziges Leben habe keinen Zweck, kein Ziel, und das bräuchte ich notwendig. Um die Lücken auszufüllen, verlängerte er meine Hindustani-Stunden und wurde noch drängender in seiner Erwartung, dass ich mich in dieser Sprache vervollkommne. Und ich – Törin, die ich war – dachte nicht einmal daran, ihm zu widersprechen; ich konnte ihm nicht widerstehen.
    Eines Tages war ich noch niedergeschlagener als gewöhnlich zur Stunde gekommen. Dies war durch eine harte Enttäuschung hervorgerufen: Hannah hatte mir am Morgen gesagt, es wäre ein Brief für mich eingetroffen, und als ich hinunterging, um ihn in Empfang zu nehmen, beinahe fest überzeugt, dass die so lange und innig ersehnte Nachricht endlich eingetroffen sei, fand ich nur einen ganz unwichtigen Geschäftsbrief von Mr. Briggs. Der harte Schlag hatte mich einige Tränen gekostet, und als ich jetzt über die verschnörkelten Züge und die blütenreiche Sprache einer indischen Schrift gebeugt saß, füllten sich meine Augen von Neuem mit Tränen.
    St. John rief mich an seine Seite, um lesen zu üben. Als ich dies aber versuchte, versagte mir die Stimme, und ein Schluchzen erstickte meine Worte. Außer ihm und mir war niemand im Wohnzimmer; Diana war mit ihrer Musik im Salon beschäftigt, Mary arbeitete im Garten. Es war ein schöner Maientag – klar, sonnig und luftig. Mein Gefährte legte durchaus keine Verwunderung über meine Bewegung an den Tag, und ebenso wenig befragte er mich über ihre Ursache. Er sagte nur:
    »Jane, wir wollen einige Minuten warten, bis Sie gefasster sind.«
    Und während ich so schnell wie möglich den Anfall zu unterdrücken suchte, saß er ruhig und geduldig da, auf sein Pult gelehnt wie ein Arzt, welcher mit dem Auge der Wissenschaft eine längst und sicher erwartete, vollständig erklärte Krisis in der Krankheit eines Patienten beobachtet. Als ich zu schluchzen aufgehört, meine Augen getrocknet und etwas wie »mir ist heute Morgen nicht ganz wohl« gemurmelt hatte, begann ich von Neuem mit meiner Arbeit und brachte sie auch zu Ende.

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