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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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schon im Korridor und zog seinen Rock an. Dann ging er ohne Murren, ohne Widerstreben. Es war jetzt neun Uhr, und vor Mitternacht kehrte er nicht zurück. Wohl war er hungrig und todmüde, aber er sah glücklicher und zufriedener aus als vorher. Er hatte eine Pflicht erfüllt, eine Anstrengung überstanden; er hatte seine Tatkraft und Selbstverleugnung erprobt und stand nun mit sich selbst auf besserem Fuße.
    Ich fürchte, dass die ganze folgende Woche seine Geduld auf eine harte Probe stellte. Es war die Weihnachtswoche; keine von uns griff zu einer bestimmten Beschäftigung, sondern wir brachten die Zeit in einer fröhlichen, häuslichenSorglosigkeit hin. Die Luft des Moors, die Freiheit des eigenen Heims, die Morgenröte des Glücks, der Unabhängigkeit: Dies alles wirkte auf Diana und Mary wie ein belebendes Elixier; sie waren heiter vom Morgen bis zum Mittag und vom Mittag bis zum Abend. Sie konnten immerzu reden, und ihre geistreiche, pointierte und originelle Unterhaltung hatte einen so großen Reiz für mich, dass ich das Vergnügen, daran teilzunehmen oder ihr lauschen zu dürfen, jeder anderen Beschäftigung vorzog. St. John verwies uns unsere Lebhaftigkeit nicht, aber er entrann ihr. Er war nur selten im Hause; seine Gemeinde war groß, die Einwohnerschaft hier und da verstreut, und es war seine tägliche Beschäftigung, die Armen und Kranken in den verschiedenen Distrikten aufzusuchen.
    Eines Morgens beim Frühstück fragte Diana ihn, nachdem sie lange nachdenklich dreingeschaut hatte, ob seine Pläne noch immer unverändert wären.
    »Unverändert und unabänderlich«, war seine Antwort. Und dann benachrichtigte er uns, dass seine Abreise von England jetzt bestimmt im nächsten Jahr stattfinden würde.
    »Und Rosamond Oliver?«, fragte Mary. Die Worte schienen ihren Lippen unwillkürlich zu entschlüpfen, denn kaum hatte sie sie ausgesprochen, als sie auch schon eine Bewegung machte, als wollte sie sie zurücknehmen. St. John hatte ein Buch in der Hand, es war eine seiner ungeselligen Gewohnheiten, während der Mahlzeiten zu lesen; er schlug es zu und blickte auf.
    »Rosamond Oliver«, entgegnete er, »ist im Begriff, sich mit Mr. Granby, einem der achtbarsten und vornehmsten Bürger von S***, dem Enkel und Erben von Sir Frederic Granby, zu verheiraten. Gestern machte ihr Vater mir diese Mitteilung.«
    Seine Schwestern blickten zuerst einander an, dann mich, schließlich sahen wir alle drei auf ihn. Er war ruhig wie Marmor.
    »Diese Verbindung muss sehr schnell zustande gekommen sein«, sagte Diana. »Sie können einander doch erst seit kurzer Zeit kennen.«
    »Seit zwei Monaten. Im Oktober lernten sie sich auf dem Grafschaftsball in S*** kennen. Wo sich einer Verbindung indessen keine Hindernisse in den Weg stellen, wie in dem gegenwärtigen Fall, wo die Heirat in jeder Beziehung wünschenswert erscheint, da ist jeder Aufschub unnötig. Sie werden sich verheiraten, sobald S*** Place, welches Sir Frederik ihnen einräumt, für ihren Empfang bereit ist.«
    Als ich St. John nach dieser Mitteilung zum ersten Mal allein traf, war ich in großer Versuchung zu fragen, ob diese Begebenheit ihn unglücklich mache. Aber er schien des Zuspruchs so wenig zu bedürfen, dass ich – weit entfernt davon, ihm mein Mitgefühl auszusprechen – fast einige Beschämung über mein bereits zuvor einmal ausgedrücktes Mitgefühl empfand. Außerdem hatte ich auch vollständig die Übung verloren, mit ihm zu sprechen; seine Zurückhaltung hatte sich von Neuem mit einer Eiskruste überzogen, und meine Offenherzigkeit war darüber erfroren. Er hatte sein Versprechen, mich ebenso wie seine Schwestern zu behandeln, nicht gehalten; er machte fortwährend kleine, abkühlende Unterscheidungen, welche durchaus nicht zur Entwicklung irgendwelcher Vertraulichkeiten zwischen uns beitrugen. Kurzum: Jetzt, wo ich seine anerkannte Blutsverwandte war und mit ihm unter einem Dach wohnte, fühlte ich, dass die Entfernung zwischen uns viel größer war, als zu jener Zeit, wo er in mir nur die Dorfschullehrerin sah. Wenn ich mich daran erinnerte, wie weit er mich einst in sein Vertrauen gezogen hatte, so konnte ich seine jetzige, eisige Zurückhaltung kaum begreifen.
    In Anbetracht dieser Umstände war ich nicht wenig erstaunt, als er den Kopf plötzlich von dem Schreibpult, über welches er gebeugt saß, emporhob und sagte:
    »Sie sehen, Jane, der Kampf ist zu Ende gekämpft, und der Sieg ist errungen.«
    Erstaunt darüber, so plötzlich

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