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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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angeredet zu werden, konnte ich nicht augenblicklich antworten. Nach kurzem Zögern entgegnete ich:
    »Wissen Sie aber auch bestimmt, dass es Ihnen nicht ergeht, wie jenen Eroberern, deren Siege zu teuer erkauft waren? Würde ein zweiter solcher Triumph nicht Ihr Verderben sein?«
    »Ich glaube nicht. Und erginge es mir wirklich so – was bedeutete es denn auch? Ich werde niemals in die Lage kommen, ein zweites Mal so zu kämpfen. Dieser Konflikt hat die Entscheidung gebracht: Mein Weg liegt jetzt klar vor mir. Ich danke Gott dafür!« Mit diesen Worten versank er wiederum in Schweigen und wandte sich seinen Papieren zu.
    Als unser gemeinsames Glück – oder besser: das Glück von Diana, Mary und mir – einen ruhigeren Charakter annahm und wir zu unseren alten Gewohnheiten und regelmäßigen Studien zurückkehrten, verweilte St. John auch wieder mehr im Hause, zuweilen war er sogar stundenlang bei uns im Zimmer. Während Mary zeichnete, Diana, von meinem ehrfurchtsvollen Staunen begleitet, enzyklopädische Studien betrieb und ich mich mit dem Deutschen abmühte, grübelte er über irgendwelchen geheimnisvollen Überlieferungen in einer östlichen Sprache, deren Kenntnis ihm für die Ausführung seiner Pläne notwendig schien.
    Wenn er so beschäftigt in seinem kleinen Winkel saß, schien er ruhig und ganz vertieft. Aber seine blauen Augen hatten eine eigentümliche Art und Weise, sich von der exotischen Grammatik zu erheben, über uns, seine Mitstudierenden, zu schweifen und gar oft in seltsam scharfer Beobachtung auf uns zu verweilen. Begegnete man dann seinem Blick, so senkte er ihn sofort wieder auf das Buch. – Und doch kehrten seine Augen immer wieder zu unserem Tischzurück. Ich fragte mich verwundert, was das bedeuten möge. Auch erstaunte mich die Zufriedenheit, die er immer wieder bei einer Gelegenheit an den Tag legte, die mir von sehr geringer Bedeutung schien – nämlich bei meinem allwöchentlichen Besuch in der Schule von Morton. Und noch verwunderter war ich darüber, dass, wenn das Wetter ungünstig war, wenn es Schnee, Regen oder Sturm gab und seine Schwestern mich inständig baten, nicht zu gehen, er unabänderlich über ihre Fürsorglichkeit spottete und mich ermunterte, meine Aufgabe ohne Rücksicht auf die Elemente auszuführen.
    »Jane ist nicht der Schwächling, zu dem Ihr sie machen wollt«, pflegte er dann zu sagen. »Sie kann den Gebirgswind oder einen Regenschauer oder ein paar Schneeflocken geradeso gut ertragen wie irgendeiner. Ihre Konstitution ist gesund und biegsam, und sie verträgt die Schwankungen des Klimas besser als manche robustere Natur.«
    Und wenn ich dann zurückkehrte, oft sehr ermattet und arg von Wind und Wetter mitgenommen, wagte ich nicht zu klagen, weil ich sah, dass ich ihn durch mein Murren erzürnen würde. Stärke gefiel ihm stets, das Gegenteil bereitete ihm immer Verdruss.
    Eines Nachmittags indessen erhielt ich wirklich die Erlaubnis, zu Hause zu bleiben, weil ich heftig erkältet war. Seine Schwestern waren an meiner Stelle nach Morton gegangen. Ich saß und las Schiller, er war über seine Arbeit gebeugt und versuchte, seine komplizierten östlichen Schriften zu entziffern. Als ich meine Übersetzung beiseitelegte und mit einer Schreibübung begann, sah ich zufällig zu ihm hinüber und bemerkte, dass seine wachsamen blauen Augen wieder auf mich gerichtet waren. Wie lange sie mich schon geprüft und durchbohrt hatten, vermochte ich nicht zu sagen; sein Blick war aber so scharf und kalt, dass ich für einen Augenblick abergläubisch wurde – mir war, als säße ich mit etwas Unheimlichem im Zimmer.
    »Jane, was machen Sie?«
    »Ich lerne Deutsch.«
    »Ich möchte, dass Sie das Deutsche aufgeben und Hindustani lernen.«
    »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?«
    »So sehr mein Ernst, dass es geschehen muss; und ich will Ihnen auch sagen, weshalb.«
    Dann erklärte er mir, dass es die Sprache sei, welche er selbst augenblicklich studiere; dass er jetzt, wo er tiefer eindringe, leicht die Anfangsgründe wieder vergesse; dass es ihm von großem Nutzen sein würde, wenn er eine Schülerin hätte, mit welcher er immer und immer wieder die Elemente durchgehen und sie auf diese Weise seinem Gedächtnis von Neuem einprägen müsse; dass er eine Zeitlang in der Wahl zwischen mir und seinen Schwestern geschwankt habe, dass er sich aber endlich für mich entschlossen hätte, weil er bemerkt habe, dass ich von uns dreien am längsten bei einer Arbeit ausharren könne.

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