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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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vollständig. Er würde mich niemals lieben; aber er sollte zufrieden mit mir sein. Ich würde ihm Kraft und Energie geben, Hilfsquellen, deren Dasein er nicht geahnt. Ja, ich kann ebenso angestrengt arbeiten wie er, und mit ebenso großer Bereitwilligkeit.
    Einwilligung in seine Bitte wäre also möglich, ja. Aber da ist noch ein Punkt – ein furchtbarer Punkt: Er verlangt, ich solle seine Gattin werden, und hat dabei doch nicht mehr Gefühl eines Gatten für mich als jener düstere, riesige Felsen, über welchen der Strom dort in den Abgrund stürzt. Er schätzt mich, wie ein Soldat eine gute Waffe schätzt, das ist alles! Unverheiratet würde mich das niemals bekümmern; aber kann ich ihn ruhig seine Planungen durchführen und seine Pläne ins Werk setzen lassen, um dann mit ihm durch die Trauungszeremonie zu gehen? Kann ich den Brautring von ihm entgegennehmen und alle Formen der Liebe ertragen, welche er ohne Zweifel ebenfalls gewissenhaft ausüben würde, und doch wissen, dass sein Geist woanders weilte? Kann ich das Bewusstsein ertragen, dass jede Liebkosung, welche er mir zuteil werden ließe, ein Opfer ist, welches er seinen Grundsätzen bringt? Nein, ein solches Märtyrertum wäre ungeheuerlich! Niemals werde ich es auf mich nehmen. Als seine Schwester könnte ich ihn begleiten, nicht als seine Gattin. Und das will ich ihm sagen.‹
    Ich sah zu dem Hügel hin, er lag noch immer regungslos wie eine gestürzte Säule. Sein Gesicht war mir zugewandt. Scharf und wachsam ruhten seine Blicke auf mir. Dann sprang er empor und kam zurück.
    »Ich bin bereit, nach Indien zu gehen – wenn ich frei dorthin gehen kann.«
    »Deine Antwort bedarf eines Kommentars, sie ist nicht klar.«
    »Bis jetzt bist du mein Adoptivbruder gewesen, und ich war deine adoptierte Schwester. Fahren wir fort, nur das zu sein. Es ist besser, wenn wir einander nicht heiraten.«
    Er schüttelte den Kopf. »In diesem Fall würde Adoptivgeschwisterschaft den Zweck nicht erfüllen. Wärst du meine wirkliche Schwester, so läge die Sache anders: Ich würde dich mit hinausnehmen und kein Weib suchen. Wie die Dinge aber liegen, so muss unsere Verbindung entweder durch die Heirat geheiligt und besiegelt werden, oder sie darf überhaupt nicht bestehen. Jedem anderen Plan stellen sich praktische Hindernisse entgegen, siehst du das nicht ein, Jane? Denk nur einen Augenblick nach – deine Vernunft wird dich leiten.«
    Ich dachte nach, aber meine Vernunft erkannte nichts als die Tatsache an, dass wir einander nicht liebten, wie Mann und Frau sich lieben sollen, und dass wir daher nicht heiraten dürfen. Das sagte ich ihm.
    »St. John«, entgegnete ich, »ich liebe dich wie einen Bruder – du mich wie eine Schwester. Belassen wir es dabei.«
    »Das können wir nicht – wir können es einfach nicht«, antwortete er scharf und bestimmt. »Es ginge nicht. Du hast gesagt, dass du mit mir nach Indien gehen willst; vergiss es nicht – du hast es gesagt!«
    »Unter einer Bedingung!«
    »Gut, gut. Gegen die Hauptsache – die Abreise von England, das Zusammenwirken mit mir in meiner künftigenArbeit – hast du nichts einzuwenden. Du hast schon so gut wie deine Hand an die Pflugschar gelegt; du bist zu beständig und ausdauernd, um sie wieder zurückzuziehen. Du hast nur ein Ziel ins Auge zu fassen: wie die Arbeit, welche du begonnen hast, am besten zu Ende zu führen ist. Vereinfache deine vielen komplizierten Interessen, Gefühle, Gedanken, Wünsche und Zwecke; schmilz all deine Bedenken in den einen Vorsatz zusammen – jenen, mit Kraft und Erfolg die Mission unseres mächtigen Herrn zu erfüllen. Um das tun zu können, musst du einen Beistand, einen Mithelfer, einen Gatten haben – nicht einen Bruder, denn dies ist ein zu loses Band. Auch ich brauche keine Schwester: Eine Schwester könnte mir jeden Tag genommen werden. Ich brauche eine Gattin. Das ist die einzige Gehilfin, die ich im Leben kräftig genug beeinflussen und bis zum Tode absolut an mich fesseln kann.«
    Ein Schaudern erfasste mich, während er sprach. Bis ins Mark fühlte ich seinen Einfluss – ich spürte die Macht, welche er über mich besaß.
    »Suche diese nicht in mir, St. John! Suche dir eine Frau, die deiner würdiger ist als ich!«
    »Würdiger meines Zweckes, willst du sagen – würdiger meines Berufs. Ich wiederhole dir noch einmal, dass es nicht das unbedeutende Individuum ist – nicht der Mann mit den selbstsüchtigen Sinnen und Wünschen eines Mannes, für den ich eine

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