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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Gefährtin suche, nein, ich suche sie für den Missionar.«
    »Und ich bin bereit, dem Missionar meine Kraft zu geben – denn das ist alles, was er wünscht –, nicht aber mich selbst. Das hieße ja doch nur, dem Kern die Schale und die Hülse hinzuzufügen. Für diese hat er doch keine Verwendung, und deshalb will ich sie behalten.«
    »Das kannst du nicht, das darfst du nicht! Glaubst du, dass Gott sich mit einem halben Opfer zufriedengibt? Es ist die Sache Gottes, welche ich vertrete, in seine Armeereihe ich dich ein. Um seinetwillen darf ich einen halben Eid der Treue nicht annehmen – er muss ganz sein!«
    »Oh, ich bin bereit,
Gott
mein Herz zu geben«, sagte ich, »denn
du
brauchst es nicht!«
    Ich kann nicht darauf schwören, mein lieber Leser, dass in dem Ton, mit welchem ich die letzten Worte sprach, und in der Empfindung, welche sie begleitete, nicht auch ein wenig unterdrückter Sarkasmus lag. Bis jetzt hatte ich St. John im Stillen gefürchtet, weil ich ihn nicht verstanden hatte. Er hatte mich erschreckt, weil ich über ihn im Zweifel war. Bis jetzt war ich nicht imstande gewesen zu sagen, wie viel an ihm heilig, wie viel menschlich war. Aber dieses Gespräch führte zur Offenbarung, die Analyse seines Wesens vollzog sich vor meinen Augen. Ich sah seine Schwächen, ich verstand sie. Ich begriff, dass jene schöne Gestalt vor mir hier auf dem Heidekraut ein Mensch war, welcher irrte, wie ich irrte. Der Schleier vor seiner Härte und seinem Despotismus fiel herab, und als ich diese Eigenschaften in ihm entdeckt hatte, sah ich seine Unvollkommenheit und fasste Mut. Ich stand meinesgleichen gegenüber – einem Menschen, mit dem ich disputieren konnte und dem ich widerstehen konnte, wenn ich es für richtig und notwendig hielt.
    Als ich die letzten Worte gesprochen hatte, schwieg er. Ich wagte, einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Seine Augen, die auf mich gerichtet waren, drückten zugleich ernstes Erstaunen und gespannte Neugier aus. Sie schienen zu fragen: ›Ist sie sarkastisch? Und sarkastisch mir gegenüber? Was bedeutet dies?‹
    Nach einer Weile fuhr er fort: »Lass uns nicht vergessen, dass dies eine ernste Angelegenheit ist, eine Sache, von welcher wir nicht ungestraft leichtsinnig sprechen dürfen. Ich hoffe, Jane, dass es dein Ernst ist, wenn du sagst, dass du Gott dein Herz geben willst – das ist alles, was ich verlange. Wenn du dein Herz erst von allem Irdischen losgemachtund es deinem Schöpfer gegeben hast, so wird die Ausbreitung des Reiches dieses deines Schöpfers deine höchste Wonne, dein einziges Bestreben sein, und du wirst zu jeder Stunde bereit sein, alles zu tun, was jenen Zweck fördert. Du wirst sehen, welch mächtige Triebkraft dein und mein Streben durch unsere geistige und leibliche Vereinigung in der Ehe erhalten wird – diese einzige Vereinigung, welche den Schicksalen und Bestrebungen menschlicher Geschöpfe den Charakter dauernder Übereinstimmung verleiht. Du wirst über alle anderen belanglosen Umstände, alle trivialen Schwierigkeiten und Feinheiten der Empfindungen, alle Skrupel über Art, Stärke oder Zartheit der persönlichen Neigungen hinwegkommen und dich beeilen, diese Verbindung auf der Stelle zu schließen.«
    »Werde ich das?«, sagte ich kurz, und ich blickte auf seine Züge, die so schön in ihrer Harmonie, aber seltsam Furcht einflößend in ihrer stillen Strenge waren; auf seine Stirn, die herrschsüchtig und mächtig, aber nicht offen war; auf seine Augen, die hell, glänzend, tief und durchdringend waren, aber niemals sanft; auf seine schlanke, imposante Gestalt … Und dann stellte ich mir vor, ich wäre
seine Frau
. Oh, das wäre unmöglich! Als seine Helferin, seine Kameradin, meinetwegen! In diesen Eigenschaften würde ich Meere mit ihm durchkreuzen, in diesem Amt würde ich in asiatischen Wüsten unter einer tropischen Sonne mit ihm arbeiten und streben, seinen Mut, seine Hingabe, seine Kraft bewundern und anspornen, mich ruhig seiner Herrschaft unterwerfen, ruhig und unbewegt über seinen unausrottbaren Ehrgeiz lächeln. Den Christen würde ich von dem Menschen zu unterscheiden wissen, den einen im höchsten Grade achten und dem andern von ganzem Herzen vergeben. Ohne Zweifel würde ich oft und schwer leiden, wenn ich ihm nur in dieser Eigenschaft beigegeben wäre; mein Körper würde unter einem qualvoll drückenden Joch leiden, aber mein Herz, meine Seele und mein Ich würden frei sein! Ich könntedann noch immer zu meinem ungestörten

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