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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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zweiter Choral abgesungen worden war, leerte sich das Refektorium, und wir begaben uns ins Schulzimmer. Ich war eine der Letzten, die hinausgingen, und als ich die Tische passierte, sah ich, wie eine der Lehrerinnen einen Napf mit Haferbrei nahm, um den Inhalt desselben zu kosten. Sie blickte die anderen an, deren Gesichter sämtlich Entrüstung ausdrückten. Eine der Damen, die behäbige, flüsterte:
    »Abscheulicher Mischmasch! Das ist empörend!«
    Eine Viertelstunde verging, bevor die Stunden wieder begannen. Während dieser Zeit herrschte in dem Schulzimmer ein glorreicher Aufstand: In dieser Viertelstunde schien es nämlich erlaubt, frei und laut zu sprechen, und die Mädchen machten ausgiebig Gebrauch von diesem Recht. Die ganze Konversation drehte sich um das Frühstück, auf das alle ungeniert schimpften. Die Ärmsten, war dies Schimpfen doch der einzige Trost, der ihnen blieb. Außer Miss Miller war keine weitere Lehrerin im Zimmer. Einige der größeren Mädchen bildeten eine Gruppe um sie und diskutierten gebärdenreich, ernsthaft und trotzig. Ich hörte von einigen Lippen den Namen Mr. Brocklehursts. Miss Miller schüttelte missbilligend den Kopf, aber sie machte keine großen Anstrengungen, um die allgemeine Wut und Empörung zu dämpfen – ohne Zweifel teilte sie dieselbe.
    Die Uhr im Schulzimmer schlug die neunte Stunde. Miss Miller verließ den Kreis, welcher sich um sie gebildet hatte, trat in die Mitte des Zimmers und rief mit lauter Stimme:
    »Ruhe! Auf die Plätze!«
    In kurzer Zeit kam Ordnung in die wirre Menge, es kehrte wieder Disziplin ein, und auf die babylonische Sprachverwirrung folgte eine verhältnismäßige Ruhe. Die Oberlehrerinnen nahmen pünktlich ihre Posten ein, und doch schienen alle noch auf irgendetwas zu warten. Auf den Bänken, welche sich an den Seiten des Raumes entlangzogen, saßen achtzig Mädchen bewegungslos und kerzengerade. Allenwar das Haar glatt aus der Stirn gekämmt, nicht eine Locke war sichtbar. Eine seltsame Versammlung in braunen Kleidern, die bis an den Hals reichten und oben mit einer schmalen Rüsche abschlossen, mit kleinen, baumwollenen Taschen nach der Art der Beutel der Highlander, die an der Vorderseite des Kleides befestigt waren und als Handarbeitstäschchen dienten. Dazu kamen wollene Strümpfe und einfach gearbeitete Schuhe, welche mit Messingschnallen zusammengehalten wurden. Ungefähr zwanzig der auf diese Weise gekleideten Mädchen waren schon erwachsen oder zumindest über die erste Jugend hinaus; das Kostüm kleidete sie schlecht und gab selbst der hübschesten unter ihnen ein sonderbar abstoßendes Aussehen.
    Ich betrachtete sie eingehend und danach auch die Lehrerinnen, von denen keine einzige mir besonders gefiel: Die Behäbige hatte etwas Gewöhnliches, die Dunkle sah sehr trotzig aus und die Fremde herb und grotesk. Und Miss Miller, das arme Ding, war blaurot, abgehärmt und überarbeitet. Da plötzlich, als meine Blicke noch von einem Gesicht zum anderen wanderten, erhob die ganze Schule sich zugleich und wie auf Kommando, als hätte eine einzige Sprungfeder sie alle in die Höhe geschnellt.
    Was war geschehen? Ich hatte keinen Befehl vernommen – ich war ganz bestürzt. Bevor ich mich jedoch orientiert hatte, saßen die Klassen schon wieder. Da sich jetzt aber alle Blicke auf einen Punkt richteten, so sah auch ich in diese Richtung und erblickte die Dame, welche mich am vorhergehenden Abend empfangen hatte. Sie stand am Kamin am unteren Ende des Raumes. Ernst und ruhig musterte sie die beiden Reihen der Mädchen. Miss Miller näherte sich ihr und schien eine Frage zu stellen. Nachdem sie die Antwort erhalten hatte, ging sie an ihren Platz zurück und sagte laut:
    »Aufseherin der ersten Klasse, gehen Sie und holen Sie die Globen!«
    Während diese Weisung befolgt wurde, schritt die Damelangsam durch den Raum. Ich glaube, ich bin zu starker Verehrung fähig, denn noch heute erinnere ich mich des Gefühls staunender Bewunderung, mit welchem ich ihren Schritten folgte. Jetzt im hellen Tageslicht sah sie schlank, groß und wohlgestaltet aus. Braune Augen mit einem freundlichen, klaren Blick und fein gezeichnete Wimpern hoben die schneeige Weiße ihrer Stirn noch besonders hervor. Nach der Mode jener Zeit, wo weder glatte Scheitel noch lange Locken
en vogue
waren, trug sie ihr schönes, dunkelbraunes Haar in kurzen, dicken Locken an den Schläfen zusammengefasst. Ihre Kleidung, ebenfalls nach der Mode des Tages, bestand aus dunkelviolettem

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