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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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klösterlichen Garten umher, dann zum Hause hinauf. Es war ein großes Gebäude, dessen eine Hälfte grau und alt erschien, während die andere ganz neu war. Dieser neue Teil, welcher das Schulzimmer und den Schlafsaal enthielt, hatte vergitterte Bogenfenster, die ihm ein kirchenähnliches Aussehen gaben. Eine steinerne Tafel oberhalb der Tür trug die Inschrift:
    ›Lowood Stiftung. Dieser Teil des Hauses wurde erbaut A. D. *** durch Naomi Brocklehurst von Brocklehurst Hall, in dieser Grafschaft. Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. Matth. V, 16.‹
    Wieder und wieder las ich diese Worte. Ich fühlte, dass sie noch eine Erklärung haben müssten, und war außerstande, ihren ganzen Inhalt zu erfassen. Noch dachte ich über die Bedeutung des Wortes »Stiftung« nach und bemühte mich, einen Zusammenhang zwischen den ersten Worten und dem Bibelvers zu finden, als ein hohler Husten hinter mir mich veranlasste, den Kopf zu wenden.
    Ich sah ein Mädchen auf einer nahen Steinbank sitzen, sie war über ein Buch gebeugt, dessen Inhalt sie vollständig zu fesseln schien. Von der Stelle aus, wo ich stand, konnte ich den Titel lesen, er lautete »Rasselas« – ein Name, der mir seltsam vorkam und der mich neugierig machte. Als sie eine Seite umblätterte, blickte sie zufällig auf, und sogleich sagte ich:
    »Ist dein Buch interessant?« Ich hatte bereits den Entschluss gefasst, sie eines Tages zu bitten, es mir zu leihen.
    »Mir gefällt es«, sagte sie nach einer Pause von einigen Sekunden, während welcher sie mich gemustert hatte.
    »Wovon handelt es denn?«, fuhr ich fort. Noch heute weiß ich kaum, woher ich den Mut nahm, in dieser Weise eine Konversation mit einer gänzlich Unbekannten anzufangen. Es war so ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheit und meiner Natur, aber ich glaube, dass ihre Beschäftigung irgendeine Saite in mir zum Klingen gebracht hatte, denn auch ich liebte die Lektüre, obgleich die meine bisher stets kindlich und nichtssagend gewesen war. Schweres und Ernstes konnte ich weder verstehen noch verdauen.
    »Du darfst es dir ruhig ansehen«, sagte das Mädchen und reichte mir sofort bereitwillig das Buch. Das tat ich. Ein kurzer Blick überzeugte mich, dass der Inhalt weit weniger fesselnd war als der Titel. »Rasselas« schien meinem seichten Geschmack höchst langweilig; ich fand darin nichts von Feen oder Dämonen, die eng bedruckten Seiten schienen keine fröhliche Abwechselung zu bieten. Ich gab ihr das Buch zurück. Sie nahm es ruhig und wollte sich, ohne einweiteres Wort zu sprechen, ihrer früheren Beschäftigung wieder ganz hingeben, als ich noch einmal wagte, sie zu stören:
    »Kannst du mir sagen, was die Inschrift dort auf dem Stein über der Tür bedeutet? Was heißt ›Stiftung Lowood?‹«
    »Das ist das Haus, in welchem du hier lebst.«
    »Und weshalb nennen sie es Stiftung? Ist es denn in irgendeiner Weise von anderen Schulen verschieden?«
    »Es ist in gewisser Weise eine Wohltätigkeitsschule. Du und ich und alle Übrigen sind Mildtätigkeits-Zöglinge. Ich vermute, dass du eine Waise bist; ist nicht dein Vater oder deine Mutter tot?«
    »Sie sind beide tot, schon lange, ich habe gar keine Erinnerung mehr an sie.«
    »Nun, all die Mädchen hier haben entweder Vater oder Mutter oder beide Eltern verloren, und dies ist ein Institut für die Erziehung von Waisen.«
    »Bezahlen wir denn kein Schulgeld? Werden wir hier umsonst erhalten?«
    »Wir oder unsere Verwandten bezahlen fünfzehn Pfund jährlich.«
    »Und weshalb nennt man uns dann Mildtätigkeits-Schüler?«
    »Weil fünfzehn Pfund nicht hinreichend sind für Kost und Schule, das Fehlende wird durch Spenden aufgebracht.«
    »Wer spendet denn?«
    »Verschiedene barmherzige Damen und Herren in dieser Gegend und in London.«
    »Und wer war Naomi Brocklehurst?«
    »Die Dame, welche den neuen Teil dieses Hauses gebaut hat, wie die Inschrift besagt, und deren Sohn hier alles überwacht und anordnet.«
    »Weshalb tut er das?«
    »Weil er der Schatzmeister und Direktor des ganzen Instituts ist.«
    »Dann gehört dieses Haus also nicht der großen, schlanken Dame, welche eine Uhr trägt, und die sagte, dass wir Brot und Käse bekommen sollten?«
    »Miss Temple? Oh nein! Ich wollte, es gehörte ihr! Sie ist Mr. Brocklehurst für alles, was sie tut, verantwortlich. Mr. Brocklehurst kauft alle Nahrungsmittel und alle Kleider für uns.«
    »Wohnt er hier?«
    »Nein –

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