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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Halb erfroren machten wir uns auf den Weg, noch erfrorener langten wir in der Kirche an. Während des Morgengottesdiensteslähmte uns die Kälte beinahe. Der Weg war zu weit, um zum Mittagessen nach Lowood zurückzukehren, daher reichte man uns zwischen den beiden Predigten eine Ration von kaltem Fleisch und Brot in derselben kärglichen Menge, wie sie auch bei unseren gewöhnlichen Mahlzeiten üblich war.
    Nach dem Ende des Nachmittagsgottesdienstes kehrten wir über eine hügelige, dem Wind ausgesetzte Straße nach Hause zurück. Der eisige Wintersturm, der über eine Kette schneebedeckter Berge vom Norden her blies, riss uns beinahe die Haut von den Wangen.
    Ich erinnere mich noch an Miss Temple, wie sie leichtfüßig und schnell an unseren ermatteten Reihen entlangging – fest in ihren schottischen Mantel gehüllt, den der Wind ihr fortwährend zu entreißen drohte – und uns durch Worte und Beispiel ermunterte, Mut zu behalten und vorwärts zu schreiten, »tapferen Soldaten gleich«, wie sie zu sagen pflegte. Die übrigen Lehrerinnen, die armen Dinger, waren gewöhnlich selbst zu erschöpft, um andere zu ermutigen oder zu trösten.
    Wie wir uns nach dem Licht und der Wärme eines hellen Feuers sehnten, wenn wir nach Hause kamen! Aber dieser Genuss blieb uns versagt – den Kleineren zumindest: Jeder Kamin im Schulzimmer war augenblicklich von einer doppelten Reihe großer Mädchen belagert. Hinter diesen drückten sich die Kleineren dann in trostlosen Gruppen zusammen, ihre abgemagerten Arme in ihre Schürzen hüllend.
    Ein schwacher Trost ward uns in der Teestunde in Gestalt einer doppelten Brotration, eine ganze Scheibe anstatt einer halben, mit der köstlichen Zutat einer dünnen Schicht von Butter. Es war ein allwöchentlicher Genuss, dem wir von Sonntag zu Sonntag sehnsuchtsvoll entgegensahen. Gewöhnlich gelang es mir, die Hälfte dieses köstlichen Mahls für mich zu behalten, die andere Hälfte musste ich unweigerlich abgeben.
    Der Sonntagabend wurde dazu verwandt, den Kirchenkatechismussowie das fünfte, sechste und siebente Kapitel des Matthäus-Evangeliums auswendig aufzusagen und eine lange Predigt anzuhören, welche die arme Miss Miller, deren nicht zu unterdrückendes Gähnen ihre Müdigkeit verriet, uns vorlas. Häufig wurde die Predigt durch junge Mädchen unterbrochen, denen es erging, wie dem Eutychus in der Apostelgeschichte: Überwältigt von Müdigkeit pflegten sie oft umzufallen – wenn auch nicht vom dritten Stockwerk herunter, so aber doch von der Bank, sodass sie wieder emporgehoben werden mussten. Als Abhilfe und zur Strafe stieß man sie dann in die Mitte des Schulzimmers, wo sie gezwungen wurden auszuharren, bis die Predigt zu Ende war. Zuweilen versagten ihnen die Füße den Dienst, und sie sanken zu einem hilflosen Häuflein zusammen; dann pflegte man sie durch die hohen Stühle der Aufseherinnen zu stützen.
    Noch habe ich der Besuche Mr. Brocklehursts nicht Erwähnung getan; und in der Tat war dieser Gentleman während des größten Teils meines ersten Monats in Lowood vom Haus abwesend – vielleicht zog sich sein Besuch bei seinem Freund, dem Erzdiakon, so sehr in die Länge.
    Seine Abwesenheit war eine Erleichterung für mich. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich meine besonderen Gründe hatte, sein Kommen zu fürchten.
    Eines Nachmittags, ich war damals gerade seit drei Wochen in Lowood, saß ich mit der Tafel in der Hand da und zerbrach mir den Kopf über ein langes Divisionsexempel, als meine Blicke sich ganz gedankenlos auf das Fenster richteten. In diesem Augenblick schritt eine Gestalt an demselben vorbei. Fast instinktiv erkannte ich die hageren Umrisse, und als zwei Minuten später die ganze Schule mitsamt den Lehrerinnen sich erhob,
en masse
erhob, brauchte ich nicht aufzublicken, um mich zu vergewissern, wessen Eintritt denn auf diese Weise begrüßt wurde. Ein langer Schritt durchmaß das Schulzimmer, und gleich darauf stand neben Miss Temple, die sich ebenfalls erhoben hatte, dieselbeschwarze Säule, welche vor dem Kamin im Herrenhaus von Gateshead Hall so finster und unheilvoll auf mich herabgeblickt hatte. Jetzt blickte ich von der Seite auf dieses architektonische Werk: Ja, ich hatte mich nicht getäuscht, es war Mr. Brocklehurst, fest in seinen Überzieher geknöpft, und länger, schmaler und steifer aussehend denn je.
    Ich hatte, wie gesagt, meine besonderen Gründe, beim Anblick dieser Erscheinung zu erschrecken, erinnerte ich mich doch nur zu wohl der

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