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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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außer dir fühlt, als eine unüberlegte Tat zu begehen, deren böse Folgen alle treffen, die mit dir verwandt sind – und überdies gebietet die Bibel uns, Böses mit Gutem zu vergelten.«
    »Aber es ist doch entehrend, mit Ruten gepeitscht zu werden und in der Mitte eines Zimmers stehen zu müssen, das voller Menschen ist! Und du bist schon so groß! Ich bin viel jünger als du, und ich könnte es nicht ertragen.«
    »Und doch wäre es deine Pflicht, es zu ertragen, wenn du es nicht vermeiden könntest. Es ist schwach und albern zu sagen, dass du nicht ertragen kannst, was das Schicksal dir auferlegt.«
    Staunend hörte ich ihr zu. Ich konnte diese Lehre der Duldsamkeit nicht begreifen; und noch weniger konnte ich die Versöhnlichkeit, mit welcher sie von ihrer Peinigerin sprach, verstehen, geschweige denn, mit derselben sympathisieren. Doch fühlte ich, dass Helen Burns alle Dinge in einem Lichte sah, das meinen Augen verborgen blieb. Ich vermutete, dass sie Recht hatte und ich Unrecht, aber ich wollte nicht tiefer über die Sache nachdenken. Wie Felix in der Apostelgeschichte schob ich es für eine passendere Gelegenheit auf.
    »Du sagst, dass du Fehler hast, Helen? Nenne sie mir doch! Mir erscheinst du so gut.«
    »Dann lerne von mir, dass man nicht nach dem Schein urteilen darf. Ich bin, wie Miss Scatcherd sagt, sehr unordentlich. Selten nur mache ich Ordnung zwischen meinen Sachen und niemals erhalte ich diese Ordnung. Ich bin unachtsam, ich vergesse die Vorschriften, ich lese, wenn ich meine Aufgaben machen sollte; ich habe keine Methode beim Lernen und zuweilen sage ich wie du: Ich kann es nicht ertragen, mich systematischen Regeln zu unterwerfen. All dies ist sehr ärgerlich für Miss Scatcherd, welche von Natur aus ordentlich, reinlich und pünktlich ist.«
    »Und böse und grausam«, fügte ich hinzu, aber Helen Burns wollte diesen Zusatz nicht gelten lassen. Sie schwieg.
    »Ist Miss Temple ebenso streng gegen dich, wie Miss Scatcherd?«, fragte ich weiter.
    Bei der Nennung von Miss Temple flog ein sanftes Lächeln über ihr sonst so ernstes Gesicht.
    »Miss Temple ist voller Güte; es bereitet ihr Schmerz, gegen irgendjemanden streng sein zu müssen, selbst gegen die schlimmste Schülerin der ganzen Schule. Sie sieht meine Fehler und belehrt mich mit Sanftmut über dieselben; wenn ich aber irgendetwas Gutes tue, so ist sie auch sehr freigebig mit ihrem Lob. Ein starker Beweis für meine elende, fehlerhafte und schwache Natur ist es, dass sogar ihre so mildenund vernünftigen Ermahnungen nicht genug Einfluss haben, um mich von meinen Fehlern zu kurieren. Und sogar ihr Lob, obgleich ich es so hoch schätze, kann mich nicht zu andauernder Sorgsamkeit und Überlegung anspornen.«
    »Das ist seltsam«, sagte ich, »es ist doch so leicht, sorgsam zu sein.«
    »Für dich ist es das, ohne Zweifel. Ich habe dich heute Morgen in deiner Klasse beobachtet und sah, wie unverwandt aufmerksam du warst. Deine Gedanken schienen niemals abzuschweifen, während Miss Miller etwas erklärte oder dich befragte. Aber meine Gedanken wandern fortwährend. Wenn ich Miss Scatcherd zuhören und mit Sorgfalt alles in mich aufnehmen sollte, was sie sagt, höre ich oft sogar den Laut ihrer Stimme nicht mehr; ich versinke in eine Art von Traum. Manchmal glaube ich, dass ich in Northumberland bin und dass der Lärm, den ich um mich herum höre, das Plätschern und Rieseln eines kleinen Baches ist, der durch Deepden fließt, ganz nahe an unserem Haus vorbei. Wenn dann die Reihe an mich kommt zu antworten, muss ich erst geweckt werden, und weil ich dann von allem, was gelesen wurde, nichts gehört habe, weil ich ja dem Rauschen des imaginären Baches lauschte, so habe ich auch niemals eine Antwort parat.«
    »Aber du hast doch heute Nachmittag so gut geantwortet.«
    »Das war ein reiner Zufall. Der Gegenstand, über den wir gelesen hatten, hatte mein Interesse geweckt. Anstatt von Deepden zu träumen, dachte ich heute Nachmittag verwundert darüber nach, wie ein Mann, der so innig wünschte, das Gute zu tun, oft so ungerecht und unklug handeln konnte, wie Charles I. es getan hatte. Und ich dachte, wie traurig es ist, dass er bei all seiner Rechtschaffenheit und Gewissenhaftigkeit nichts anderes im Blick haben konnte, als die Vorrechte der Krone. Wenn er nur imstande gewesen wäre, in die Ferne zu blicken und zu sehen, wohin das, wasman den Geist der Zeit nennt, eigentlich strebte! Und doch – ich liebe Charles, ich achte ihn, ich

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