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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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unerschütterliche, unverrückbare Grundstein des Lebens und des Denkens, so rein, wie er war, als er vom Schöpfer ausging, um das Geschöpf zu beleben. Er wird dorthin zurückkehren, woher er kam – vielleicht, um in ein Wesen überzugehen, das höher und erhabener ist als der Mensch, vielleicht, um alle Phasen der Ewigkeit bis zur Vollendung zu durchschreiten, von der ohnmächtigen, menschlichen Seele bis hinauf zum Engel! Denn gewiss, nimmer kann es doch sein, dass wir umgekehrt vom Menschen zum Teufel degenerieren! Nein, das kann ich nicht glauben. Mein Glaubensbekenntnis ist ein anderes. Niemand hat es mich jemals gelehrt, und nur selten spreche ich davon, aber es ist meine ganze Glückseligkeit, und ich klammere mich fest daran, denn es gewährt allen Hoffnung – es macht die Ewigkeit zur Ruhe, zum Frieden, zur himmlischen Heimat – nicht zum Schrecken, nicht zum Abgrund. Und außerdem gewährt dieser Glaube mir die Fähigkeit, zwischen dem Verbrecherund seinem Verbrechen zu unterscheiden. Ich bin imstande, Ersterem von Herzen zu vergeben, während ich seine Tat verabscheue. Und dieser mein Glaube macht auch, dass das Rachegefühl mein Herz niemals quält, Zurücksetzung mich nicht zu tief verwundet, Ungerechtigkeit mich niemals ganz zermalmen kann: Ich lebe in Frieden und denke an das Ende!«
    Helens Kopf, den sie immer ein wenig gesenkt trug, sank noch tiefer herab, als sie die letzten Worte sprach. Ich sah es ihren Blicken an, dass sie kein Verlangen hegte, noch länger mit mir zu reden, dass sie gern mit ihren eigenen Gedanken allein sein wollte. Sie hatte jedoch nicht die Zeit zum Nachdenken: Eine Aufseherin, ein großes, grobes Mädchen trat in diesem Augenblick an sie heran und rief mit starkem cumberländischen Akzent:
    »Helen Burns, wenn du nicht hinaufgehst und augenblicklich Ordnung in deiner Schublade machst und deine Handarbeit sauber zusammenfaltest, so werde ich Miss Scatcherd rufen und sie bitten, sich die Sache anzusehen!«
    Helen seufzte, als ihre Träumereien ein so jähes Ende nahmen, aber sie erhob sich und gehorchte der Aufseherin ohne Zögern, ohne Erwiderung.

Siebentes Kapitel
     
    Das erste Vierteljahr in Lowood dünkte mich ein Menschenalter, aber durchaus kein Goldenes Zeitalter. Es bedeutete einen ermüdenden Kampf mit der Schwierigkeit, mich in neue Regeln und ungewohnte Aufgaben hineinzuarbeiten. Die Furcht, in diesen Punkten zu unterliegen, quälte mich mehr, als die physischen Mühseligkeiten und Entbehrungen, die mein Los waren. Aber auch diese waren wahrlich keine Kleinigkeiten.
    Während der Monate Januar, Februar und März hindertender tiefe Schnee und, nachdem dieser fortgeschmolzen war, die fast unpassierbaren Straßen uns daran, weiter zu gehen, als bis an die Mauern des Gartens – nur der sonntägliche Weg in die Kirche machte eine Ausnahme. Aber innerhalb dieser Grenzen mussten wir jeden Tag eine Stunde in freier Luft zubringen. Unsere Bekleidung war nicht hinreichend, um uns gegen die strenge Kälte zu schützen. Wir hatten keine Stiefel, der Schnee drang in unsere Schuhe und schmolz darin, unsere handschuhlosen Hände erstarrten und bedeckten sich nach und nach mit Frostbeulen, ebenso unsere Füße. Ich erinnere mich noch der Beschwerden, welche ich jeden Abend hatte, wenn meine Füße sich wieder aufwärmten, und der Schmerzen, wenn ich die geschwollenen, wunden und steifen Zehen am Morgen in die Schuhe zwängen musste. Auch die Kargheit der Nahrung brachte uns fast zur Verzweiflung; wir hatten den regen Appetit im Wachstum begriffener Kinder, aber man gab uns kaum genug, um einen schwachen Kranken damit am Leben zu erhalten. Aus diesem Mangel an Nahrung entstand eine Unsitte, welcher schwer auf den jüngeren Schülerinnen lastete: Wenn sich nämlich den größeren, heißhungrigen Mädchen eine Gelegenheit dazu bot, so brachten sie die Kleinen durch Schmeicheleien oder Drohungen dazu, ihnen ihren Anteil abzutreten. Gar manches Mal habe ich den kostbaren Bissen braunes Brot, den wir zur Teestunde bekamen, zwischen zwei Mädchen teilen müssen, die Anspruch darauf erhoben. Und nachdem ich dann noch einer Dritten die Hälfte vom Inhalt meines Kaffeenapfes gegeben hatte, schluckte ich den Rest zusammen mit bitteren, geheimen Tränen hinunter, welche der Hunger mir im wahrsten Sinne des Wortes abpresste.
    Die Sonntage waren trübe Tage in dieser Winterzeit. Wir mussten zwei Meilen bis zur Kirche von Brocklebridge gehen, wo unser Schutzherr den Gottesdienst abhielt.

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