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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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bemerkt, dass auch sie die gewöhnliche Gestalt eines Kindes hat. Gott in seiner Gnade hat auch ihr die Form gegeben, die er uns allen gewährt; keine abschreckende Hässlichkeit kennzeichnet sie als einen gezeichneten Charakter. Wer würde glauben, dass der Teufel in ihr bereits eine Dienerin und ein williges Werkzeug gefunden hat? Und doch – es schmerzt mich, es sagen zu müssen – ist dies der Fall.«
    Eine Pause. – Ich versuchte, der Lähmung meiner Nerven Einhalt zu tun und mir zu sagen, dass der Rubikon überschritten, dass ich der Prüfung nicht mehr entgehen könne, sondern sie jetzt standhaft ertragen müsse.
    »Meine Kinder«, fuhr der schwarze, steinerne Geistliche pathetisch fort, »dies ist eine betrübliche, eine traurige Angelegenheit, denn es ist meine Pflicht, euch vor diesem Mädchen zu warnen, das eins von Gottes auserwählten Lämmern sein könnte, aber eine Verworfene ist. Kein Mitglied der treuen Herde, sondern eine Fremde, ein Eindringling. Ihr müsst auf eurer Hut sein ihr gegenüber, ihr dürft ihrem Beispiel nicht folgen. Wenn es nötig ist, meidet ihre Gesellschaft, schließt sie von euren Spielen aus, habt keine Gemeinschaft, keinen Umgang mit ihr! – Und nun zu den Lehrerinnen: Sie müssen sie überwachen, ihr Tun beobachten, ihre Worte wohl erwägen und prüfen, ihre Taten untersuchen, ihren Leib strafen, um ihre Seele zu retten. Wenn eine solche Rettung überhaupt noch möglich ist, denn – meine Zunge scheut sich, es auszusprechen – dieses Mädchen,dieses Kind, diese Eingeborene eines christlichen Landes ist schlimmer als manche kleine Heidin, die ihr Gebet zu Brahma spricht und vor Jagannath kniet – dieses Mädchen ist eine Lügnerin!«
    Jetzt folgte eine lange Pause. Ich war wieder im Vollbesitz meiner Sinne und meines Verstandes und bemerkte, wie die weiblichen Brocklehursts ihre Taschentücher hervorzogen und sie an die Augen führten, wobei die ältere Dame sich hin und her wiegte und die beiden jüngeren flüsterten: »Wie entsetzlich!«
    Mr. Brocklehurst begann von Neuem.
    »Dies alles erfuhr ich durch ihre Wohltäterin, durch die fromme und barmherzige Dame, welche sich der verlassenen Waise annahm und sie wie ihre eigene Tochter erzog – und deren Güte, deren Großmut dieses unglückliche Mädchen durch eine so schwarze, so schändliche Undankbarkeit vergalt, dass ihre ausgezeichnete Beschützerin gezwungen war, sie von ihren eigenen Kindern zu trennen, aus Furcht, dass ihre lasterhafte Verderbtheit die Reinheit ihrer Kleinen besudeln könne. Sie hat sie hierher gesandt, um geheilt zu werden, wie die Juden des Altertums ihre Aussätzigen an den wogenden See von Bethesda schickten. Und daher, Vorsteherin, Lehrerinnen, flehe ich Sie an, lassen Sie die Wellen um dieses Kind nicht zum Stillstand kommen!«
    Mit diesen erhabenen Schlussworten knöpfte Mr. Brocklehurst den obersten Knopf seines Überziehers zu und murmelte etwas in Richtung seiner Familie. Diese erhob sich, verneigte sich gegen Miss Temple, und dann segelten all die vornehmen Leute würdevoll zur Tür hinaus. Mein Richter aber wandte sich noch einmal um und sagte:
    »Lasst sie noch eine halbe Stunde auf jenem Stuhl stehen, und dass keiner von euch während des ganzen übrigen Tages mit ihr spricht!«
    Da stand ich also, hoch erhoben über alle. Ich, die ich zuvor gesagt hatte, dass ich die Schande nicht ertragen würde,auf eigenen Füßen in der Mitte des Zimmers stehen zu müssen – ich stand nun da, allen Blicken ausgesetzt auf einem Piedestal der Schande. Worte vermögen nicht zu beschreiben, welcher Art die Gefühle waren, die in mir tobten; aber gerade in dem Augenblick, wo sie mir die Kehle zusammenschnürten und mir den Atem zu rauben drohten, ging ein Mädchen an mir vorbei. Und im Vorbeigehen richtete sie ihre Blicke auf mich: Welch ein seltsames Licht strömten sie über mich aus, welch ein wunderbares Gefühl weckten ihre Strahlen in mir! Und wie stark dieses bis jetzt ungekannte Empfinden mich machte! Es war, als sei ein Held, ein Märtyrer an einem Sklaven oder an einem Opfer vorübergegangen und hätte ihm dadurch Mut und Kraft eingeflößt. Ich beherrschte und überwältigte den Weinkrampf, der sich meiner bemächtigen wollte, erhob den Kopf und stand dann fest und ohne Beben auf dem Stuhl. Helen Burns richtete eine unbedeutende Frage zu ihrer Arbeit an Miss Smith, wurde wegen der Trivialität derselben gescholten, ging an ihren Platz zurück und lächelte mir diesmal im Vorübergehen

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