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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Feldrain und unter den Hecken noch weit schönere Blumen.
    Zudem entdeckte ich außerhalb der hohen und mit eisernen Spitzen gekrönten Mauern unseres Gartens ein großes Vergnügen, einen Genuss, welchem nur der Horizont eine Grenze setzte: Dieser Genuss bestand in der Aussicht, welche eine lange Reihe hoher, grüner Gipfel bot, die ein schattiges Tal umschlossen, durch welches sich ein klarer Bach voll dunkler Steine und funkelnder Wirbel schlängelte.
    Wie ganz anders hatte dieses Bild ausgesehen, als ich es in Frost erstarrt, in ein Leichentuch von Schnee gehüllt unter dem bleiernen Himmel des Winters gesehen hatte! Wenn kalte Wolken, vom Ostwind gejagt, über diese düsteren Gipfel hinzogen und über Wiesen und Anhöhen hinunterrollten, bis sie sich mit dem frostigen Nebel des Baches vereinigten!Dieser Bach selbst war damals ein Strom, zügellos und tobend; er riss das Gestrüpp des Waldes mit sich und erfüllte die Luft mit tosendem Lärm und wildem Sprühregen, sodass der Wald an seinen Ufern nur noch aus einer kahlen Reihe von Gerippen bestand.
    Aus dem April wurde Mai, ein klarer, schöner Mai, all seine Tage brachten blauen Himmel und milden Sonnenschein und leise westliche oder südliche Winde. Und jetzt brach die Vegetation mit Macht hervor: Lowood schüttelte seine Locken, es wurde grün und blütenreich, und in seine großen Ulmen-, Eschen- und Eichen-Skelette kehrte majestätisches Leben zurück. Waldblumen sprossen in allen Ecken und Winkeln; zahllose Arten von Moos füllten die Vertiefungen, und wilde Schlüsselblumen bedeckten den Boden wie mit Lichtstrahlen – wie oft habe ich an schattigen Stellen ihren zarten, goldigen Glanz für hellen Sonnenschein gehalten. All dies genoss ich oft und ausgiebig, frei, unbewacht und fast immer allein. Diese ungewohnte Freiheit, dieses Vergnügen hatte eine Ursache, von welcher ich nun zu reden habe:
    Habe ich die Lage meiner Wohnstätte nicht als eine reizende beschrieben, wenn ich erzählte, dass sie in Hügel und Wald eingebettet und am Rande eines Stromes lag? Reizvoll in der Tat war die Stiftung gelegen; ob diese Lage aber auch gesund war, das war eine andere Frage.
    Jenes neblige Waldtal, in welchem Lowood sich befand, war nämlich auch Brutstätte einer aus dem Nebel entstandenen Krankheit. Diese wuchs mit dem Frühling heran, kroch in das Waisenasyl und hauchte den Typhus in die überfüllten Schlafsäle und Schulzimmer. Und bevor der Mai gekommen war, hatte sich die Erziehungsanstalt in ein Hospital verwandelt.
    Durch Hunger und verschleppte Erkältungen war die Mehrzahl der Schülerinnen für die Ansteckung anfällig; von achtzig Mädchen wurden fünfundvierzig gleichzeitig vonder Krankheit ergriffen. Die Schulstunden hörten auf, alle Regeln blieben unbeachtet. Den wenigen, welche gesund blieben, wurde eine fast unbeschränkte Freiheit gewährt, denn der Arzt bestand auf häufiger Bewegung an frischer Luft, um sie gesund zu erhalten. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, so hätte doch niemand Zeit oder Lust gehabt, sie zu bewachen oder zurückzuhalten. Miss Temples ganze Aufmerksamkeit war von den Patientinnen in Anspruch genommen; sie wohnte bei ihnen im Krankenzimmer, das sie niemals verließ, mit Ausnahme von wenigen Stunden der Nacht, wo sie selbst die ihr so nötige Ruhe suchte. Die Lehrerinnen waren vollauf mit dem Packen und anderen notwendigen Vorbereitungen für die Abreise jener Mädchen beschäftigt, welche glücklich genug waren, Freunde und Verwandte zu besitzen, die sie vom Seuchenherd wegholten. Viele, welche den Keim der Ansteckung bereits in sich trugen, kehrten nur nach Hause zurück, um dort zu sterben; einige starben in der Anstalt und wurden schnell und ruhig begraben, da die Art der Krankheit hier keinen Aufschub duldete.
    Während die entsetzliche Krankheit eine Bewohnerin von Lowood geworden war und der Tod ein häufiger Besucher, während innerhalb der Mauern Furcht und Trauer herrschten, während die Dünste eines Hospitals durch Zimmer und Korridore zogen und Tränke und Pastillen umsonst versuchten, den Ausdünstungen des Todes entgegenzuwirken – während all diesem leuchtete draußen der strahlende Mai über stolze Hügel und herrliches Waldland. Der Garten prangte im Blumenflor: Rosenpalmen waren wie Bäume in die Höhe geschossen, Lilienkelche öffneten sich, Tulpen und Rosen standen in Blüte, die Ränder der kleinen Beete strahlten im Schmuck von rosa Seenelken und dunkelroten Tausendschönchen; morgens und

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