Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
schlank noch geschmeidig.
Mr. Rochester musste Mrs. Fairfax’ und meinen Eintritt wohl bemerkt haben; aber ich nehme an, dass er nicht in der Laune war, Notiz von uns zu nehmen, denn er wandte nicht einmal den Kopf, als wir näher traten.
»Hier ist Miss Eyre, Sir«, sagte Mrs. Fairfax in ihrer ruhigen Weise. Er neigte den Kopf leicht, aber immer wandte er noch keinen Blick von der Gruppe des Hundes mit dem Kinde.
»Lassen Sie Miss Eyre Platz nehmen«, sagte er, und in der förmlichen, steifen Verbeugung, in dem ungeduldigen, gezwungenen Ton lag etwas, das zu sagen schien: ›Was zum Teufel kümmert es mich, ob Miss Eyre da ist oder nicht? Indiesem Augenblick verspüre ich keine Lust, mit ihr zu sprechen.‹
Ich setzte mich, und meine Verlegenheit war gänzlich geschwunden. Ein Empfang von äußerster Höflichkeit würde mich wahrscheinlich verwirrt haben; ich hätte ihn nicht durch Eleganz oder Grazie meinerseits erwidern können. Aber solch schroffe Launen legten mir keine Verpflichtung auf; im Gegenteil, ich errang durch seinen Mangel an guten Manieren einen leichten Vorteil über ihn, indem ich dieses Benehmen schweigend ignorierte. Außerdem fand ich das Außergewöhnliche seines Verhaltens reizvoll: Es interessierte mich zu erfahren, wie es nun weitergehen würde.
Er benahm sich weiterhin so, wie es eine Statue getan haben würde, das heißt, er sprach weder, noch bewegte er sich. Mrs. Fairfax schien es für notwendig zu halten, dass einer von uns sich liebenswürdig zeige, und so begann sie zu reden. Freundlich wie gewöhnlich und wie gewöhnlich auch zuerst sehr alltäglich, begann sie ihn wegen der dringenden Geschäfte zu bemitleiden, die ihn während des ganzen Tages beansprucht hätten, und wegen der Verstauchung, welche ihm große Schmerzen verursachen müsse – dann begann sie, ihm Geduld und Ausdauer während der Heilung anzuempfehlen.
»Madam, ich bitte um eine Tasse Tee«, lautete die einzige Antwort, welche sie erhielt. Sie beeilte sich, die Glocke zu ziehen, und als das Tablett gebracht wurde, begann sie, die Tassen, Löffel und anderen Dinge mit geschäftiger Schnelligkeit zu ordnen. Adèle und ich gingen an den Tisch, aber der Hausherr verließ seinen Platz nicht.
»Wollen Sie Mr. Rochester die Tasse reichen?«, sagte Mrs. Fairfax zu mir. »Adèle könnte den Tee verschütten.«
Ich tat, was sie wollte. Als er mir die Tasse aus der Hand nahm, rief Adèle, welche den Augenblick vielleicht für geeignet hielt, eine Bitte zu meinen Gunsten auszusprechen:
»N’est-ce pas, Monsieur, qu’il y a un cadeau pour Mademoiselle Eyre dans votre petit coffre?«
»Wer redet von
cadeaux
?«, fragte er roh. »Haben Sie ein Geschenk erwartet, Miss Eyre? Lieben Sie vielleicht Geschenke?« Und forschend blickte er mir ins Gesicht mit Augen, in denen Zorn und Ärger blitzten.
»Ich weiß es nicht, Sir; ich habe in dieser Beziehung wenig Erfahrung. Aber im Allgemeinen hält man sie doch für sehr angenehme Dinge.«
»›Im Allgemeinen hält man sie dafür!‹ Und was halten
Sie
davon?«
»Ich müsste mir wirklich Zeit nehmen, Sir, um zu überlegen, bis ich eine Antwort finden könnte, die Ihrer Annahme würdig wäre. Ein Geschenk hat viele Gesichter, nicht wahr? Und man sollte jedes Einzelne betrachten, ehe man eine Meinung über seine Beschaffenheit ausspricht.«
»Miss Eyre, Sie sind nicht so harmlos und einfach wie Adèle; sie verlangt laut ein
›cadeau‹
, sobald sie meiner ansichtig wird. Sie hingegen klopfen auf den Busch.«
»Weil ich weniger Vertrauen zu meinen Verdiensten habe als Adèle. Sie kann das Recht der Gewohnheit und die alte Bekanntschaft geltend machen, denn sie hat mir erzählt, dass Sie ihr stets Spielsachen zu schenken pflegten. Mir würde es aber die größte Schwierigkeit bereiten, irgendeinen Anspruch an Sie zu erheben, denn ich bin eine Fremde und habe nichts getan, um eine Belohnung von Ihnen zu verdienen.«
»Oh, bitte, verfallen Sie jetzt nicht in das Extrem zu großer Bescheidenheit! Ich habe Adèle examiniert und finde, dass Sie sich mit ihr große Mühe gegeben haben. Sie ist nicht besonders aufgeweckt, sie hat kein großes Talent, und doch hat sie in kurzer Zeit große Fortschritte gemacht.«
»Sir, jetzt haben Sie mir mein
›cadeau‹
gegeben; ich bin Ihnen außerordentlich dankbar. Nichts kann einer Lehrerin eine größere Freude machen als ein Lob der Fortschritte ihrer Schülerin.«
»Hm!«, sagte Mr. Rochester und trank dann seinen Tee schweigend
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