Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
getreu das Kleid, die luftig zarten Spitzen, den schillernden Atlas, die graziöse Schärpe, die goldene Rose. Nenne es: ›Blanche, eine vollendete Dame von Rang!‹
Wenn du dir in Zukunft jemals einbilden solltest, dass Mr. Rochester gut von dir denkt, so nimm diese beiden Bilder vor und sage: Mr. Rochester würde wahrscheinlich die Liebe dieser edlen Dame gewinnen, wenn er sich die Mühe geben wollte, sie zu erobern, aber ist es vorstellbar, dass er dieser armen, unbedeutenden Plebejerin auch nur einen Gedanken widmet? – So will ich es machen‹, beschloss ich, und nachdem dieser Entschluss besiegelt war, wurde ich ruhig und fiel in einen tiefen Schlaf.
Ich hielt mein Wort. Ein oder zwei Stunden genügten, um mein eigenes Porträt in Kreide zu zeichnen, und in weniger als einer Stunde hatte ich ein Miniaturbild der imaginären Blanche Ingram auf Elfenbein vollendet. Es war ein gar liebliches Bild, und wenn ich es mit dem der Wirklichkeit nachgezeichneten Kopf in Kreide verglich, so war der Kontrast so groß, wie die Selbsterkenntnis ihn nur immer wünschen konnte. Die Arbeit war eine Wohltat für mich. Sie hatte meinen Kopf und meine Hände beschäftigt und den neuen Erkenntnissen, welche ich unauslöschlich in mein Herz graben wollte, Kraft und Festigkeit verliehen.
Es dauerte nicht lange, und ich hatte alle Ursache, mich zu der strengen Disziplin, welcher ich meine Gefühle unterworfen hatte, zu beglückwünschen. Dank ihr war ich imstande, den nachfolgenden Begebenheiten mit der nötigen Ruhe zu begegnen, Begebenheiten, die, wenn sie mich unvorbereitet gefunden hätten, mir wahrscheinlich jede äußere Fassung geraubt hätten.
Siebzehntes Kapitel
Eine Woche verging, und von Mr. Rochester kam keine Nachricht. Zehn Tage, und noch immer kam er nicht. Mrs. Fairfax sagte, dass sie durchaus nicht erstaunt sein würde, wenn er von Leas direkt nach London und von dort nach dem Kontinent reisen würde, ohne vor Ablauf eines ganzen Jahres den Fuß wieder nach Thornfield Hall zu setzen. Schon oft habe er das alte Haus ebenso unerwartet und jäh verlassen. Als ich dies hörte, kam eine ohnmächtige Schwäche über mich, mein Herz stand fast still. Ich gestattete mir sogar das betäubende, niederschmetternde Gefühl der Enttäuschung; aber all meinen Verstand zusammenraffend und mich meiner erst kürzlich gefassten Grundsätze erinnernd, rief ich dann mit aller Gewalt meine Vernunft wieder zur Ordnung. Und es war wunderbar, wie ich meine kurzzeitige Dummheit wiedergutmachte; wie ich mir selbst erklärte, dass es ein grober Irrtum ist zu glauben, dass Mr. Rochesters Tun und Lassen mich irgendetwas angehen würde. Nicht, dass ich mich mit einer sklavischen Idee von der eigenen Niedrigkeit gedemütigt hätte – im Gegenteil, ich sagte mir:
›Du hast weiter nichts mit dem Besitzer von Thornfield zu tun, als das Gehalt von ihm anzunehmen, das er dir dafür zahlt, dass du seinen Schützling unterrichtest. Du hast ihm dankbar zu sein für die achtungsvolle und gütige Behandlung, die du von ihm zu erwarten hast, wenn du deine Pflicht gewissenhaft erfüllst. Sei fest davon überzeugt, dass dies das einzige Band zwischen euch ist, das er jemals anerkennen wird. Mache ihn also nicht zum Gegenstand deiner zärtlichen Gefühle, deines Entzückens, deiner Qualen und so weiter. Er ist nicht von deiner Art, bleibe bei deinesgleichen und hege mehr Achtung vor dir selbst, um die Liebe deines Herzens, deiner Seele und all deine Kräfte nicht da zu verschwenden, wo eine solche Gabe nicht verlangt wird und nur verschmäht werden kann.‹
Ruhig verrichtete ich die Geschäfte des Tages, aber dann und wann drängten sich mir doch Gründe auf, die als Vorwand dienen könnten, Thornfield Hall zu verlassen. Und unwillkürlich setzte ich Annoncen auf und stellte Betrachtungen über neue Stellungen an – diese Gedanken zu unterdrücken, hielt ich nicht für nötig. Sie sollten nur keimen und Früchte tragen, wenn es möglich war.
Mr. Rochester war ungefähr vierzehn Tage abwesend gewesen, als die Post einen Brief für Mrs. Fairfax brachte.
»Er ist von unserem Herrn«, sagte sie, als sie die Adresse las. »Vermutlich werden wir jetzt erfahren, ob wir ihn bald zurückerwarten dürfen oder nicht.«
Und während sie das Siegel erbrach und den Inhalt langsam durchlas, fuhr ich fort, meinen Kaffee zu trinken – wir saßen nämlich beim Frühstück –, er war sehr heiß, und diesem Umstand schrieb ich es zu, dass plötzlich eine feurige
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