Jane Reloaded - Roman
von sich aus den Park kontaktiert, versicherte der Direktor. Ein Arbeitsvertrag, der ihnen volle Unterkunft und Verpflegung garantiere, sei mit jedem abgeschlossen worden. Seit einigen Wochen wird die Gruppe auch von Lehrern unterrichtet: Ziel ist ein Schulabschluss und dann eine kontrollierte Freisetzung in die Gesellschaft.
Die angeblichen Frühmenschen, ein junges Paar von 22 und 20 Jahren und ein 40-jähriger Mann, wurden inzwischen ärztlich untersucht und für gesund befunden. Ein Gen-Check konnte sogar die Varianten ausmachen, die das urtümliche oder »fossile« Aussehen verursachen. Typisch sind besonders die ausgeprägten Augenwülste. Auch Psychologen gaben inzwischen Entwarnung. Die Gruppe sei zwar etwas »zurückgeblieben«, aber voll geschäfts- und lernfähig.
Die Frau und die zwei Männer können außerdem gültige IDs aus UNA, den United Nations of Asia, vorlegen. Das Paar trägt Global-Namen: Mary und Hunter L., der Ältere dagegen heißt Akuma Ch. Der Vorname, der thailändischen Ursprungs ist und chinesische Wurzeln hat, bot wegen seiner Bedeutung – Teufel oder Geist – Anlass zu einigen unseriösen Spekulationen. Aber um »Geister« handelt es sich hier sicher nicht!
Inzwischen wurde eine fünfköpfige Kommission eingesetzt, um die Herkunft der Gruppe zu überprüfen. Nur so könne man die Gerüchte, es handle sich um gezielte Menschenzüchtungen, entkräften und Anschuldigungen entgegentreten, ließ die Zoodirektion verlauten.
Doch selbst wenn das Ganze nur eine perfekte Fälschung wäre, um die Besucherzahlen zu steigern, so sei die ganze Aktion auf jeden Fall menschenverachtend, warnen Menschenrechtsgruppen und fragen: »Was kommt als Nächstes? Welche Randgruppe wird hier noch ausgestellt werden?«
Und wenn nun tatsächlich echte Frühmenschen präsentiert würden? Wer ist dafür verantwortlich? »Dieser homologische Garten ist schon jetzt eine Bankrotterklärung unserer Gesellschaft!«, so eine renommierte Ethikerin. »Begaffen uns im Menschenpark am Ende die Tiere, weil wir zu Bestien geworden sind?«
Dieser Artikel erinnerte mich an unzählige Anspielungen meiner Mutter, die ich verdrängt hatte. »Kümmert euch lieber um die Menschenaffen, die aussterben, statt rumzupfuschen«, war einer dieser Sätze, die ich zu Hause aufgeschnappt hatte. Schließlich war Johanna eine Aktivistin im Great Ape Project und für Animal Watch gewesen. Deshalb hatte sie sich einmal als Menschenaffe verkleidet in einen Zoo eingeschlichen und unvorbereitete Besucher erschreckt, indem sie mit ihnen sprach oder flirtete.
Solche Aktionen, die ich als Tochter nur peinlich fand, hatten immer das eine erklärte Ziel gehabt: daran zu erinnern, dass wir auch nur Tiere sind und kein Recht haben, andere einzusperren oder auszurotten. »Und dieses Töten muss vor allem verhindert werden. Nicht erst eingreifen, wenn es schon zu spät ist, und sich dann als Retter aufspielen«, predigte meine Mutter. Sie lehnte das Klonen ausgestorbener Tiere aus Arche-Noah-Genbanken oder gar Neuzüchtungen komplett ab. Sie vertraute so blind auf die Natur, auf die Evolution, dass ich es aufgegeben hatte, mit ihr über genetischen Fortschritt zu diskutieren.
Als Gregor einmal auf Besuch war, hatte Johanna ihm am Ende erbost hinterhergerufen: »Wo ADAM regiert, ist noch lange nicht das Paradies, und schon gar nicht in eurem Laos-Labor. Im Gegenteil!«
Weil wieder dieses verdammte Wort Laos-Labor gefallen war, hatte ich nicht meine Mutter, sondern meine Großmutter gefragt, wer denn dieser »Adam« sei: »Ein Kollege von Papa vielleicht?«
»Nein, es ist nur eine Abkürzung von Anthropological Demonstration of Ancestors and Mankind «, hatte sie mir erklärt. »Aber das ist nun wirklich schwer zu übersetzen. Lass es mich so sagen: Gregor erforscht die Ausbildung der Individualität beim Menschen, und zwar von unseren Urahnen bis heute, und das sehr konkret.«
Was das konkret bedeuten könnte, darüber machte ich mir damals noch keine großen Gedanken und fragte auch nicht nach.
Später an der Universität hatte ich anfangs einige Male mit Suchmaschinen nach neueren wissenschaftlichen Arbeiten zum Projekt ADAM gefahndet, war aber nie fündig geworden. Es gab nur alte, eher vage Beschreibungen, dass »historische Genomvergleiche« geplant waren. Der Wissenschaftler Gregor Bao Li schien zusammen mit ADAM im Netz abgetaucht zu sein, verschwunden.
Ich hatte viel zu tun und fing an, mich mit Sprachtheorien zu beschäftigen: Gibt es
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