Jane True 02 - Meeresblitzen
hatte Phädras Netz bereits mit meinen ernsthaft geschwächten Kräften untersucht, und ich hatte das Gefühl, verstanden zu haben, wie es gestrickt war. Ich wusste, dass ich es zerreißen könnte, wenn ich nur die nötigen Kraftreserven dazu hätte.
Ich starrte auf den Boden und erinnerte mich an Conleth und die Elektrizität aus der Steckdose.
»Bring den Berg zum Propheten«, murmelte ich und schloss meine brennenden Augen. Ich konzentrierte mich und fing an zu ziehen .
Ich hatte bloß ein bisschen Energie übrig von Julians kurzem Versuch, mich aufzuladen, und einen Moment lang dachte ich, es würde nicht reichen. Als ich danach griff und nichts passierte, geriet ich fast in Panik. Aber ich riss mich zusammen und zog noch einmal mit aller Kraft. Diesmal war es genug, um den Kontakt herzustellen. Ich nutzte die Neige meiner Kraft und rief mein Meer an, und zu meiner Überraschung antwortete es mit der Leidenschaft eines lang verloren geglaubten Geliebten.
Keiner der anderen wusste, was ich da tat; sie waren so beschäftigt damit, die Flammen zu bekämpfen. Sie hörten nicht, wie der Ozean innehielt, als würde er tief durchatmen. Sie hörten nicht das saugende Geräusch der zurückgehenden, sich sammelnden Wellen. Aber sie merkten, was dann passierte, als das Wasser rauschend zu allen Seiten der Lagerhalle durch die Fenster drang. Die Wellen brachen über uns herein und löschten Phädras Feuer. Und mit jedem Wassertropfen, der mich berührte, bahnte sich die Kraft des Atlantischen Ozeans ihren Weg in meinen Körper.
Wir waren noch immer in Phädras Netz gefangen, aber das Feuer war durch die Ströme von Wasser gelöscht worden, die durch die dünnen, durchgerosteten Wände der Lagerhalle brachen. Schließlich drang das Meer auch noch durch die Bodendielen, als künstliche Wellen sich direkt unter uns erhoben, um zu mir zu gelangen. Als das Wasser um meine Knöchel floss, fühlte ich mich von der Macht des Meeres belebt und verzehrt zugleich, und ich fing an zu begreifen, welchen Teufelspakt ich eingegangen war.
Denn das Meer nimmt immer genauso viel, wie es gibt, und ich hatte es gerade um einen Wahnsinnsgefallen gebeten.
Mittlerweile stand uns das Wasser bis zu den Knien, und die Kraft des Ozeans floss durch mich hindurch wie Elektrizität, mit solcher Wucht, dass es mich hochhob und ich mit ausgebreiteten Armen wie auf der berühmten Zeichnung von Michelangelo über den Köpfen meiner Freunde trieb. Ryu blinzelte erstaunt zu mir nach oben. Sein nasses Haar klebte an seinem Kopf wie eine dunkle Haube. Doch da wurde mein Körper von einer zunehmend schmerzhaften
Woge der Energie erfasst. In diesem Moment wusste ich, wie es sich anfühlen musste, wenn eine Vierzig-Watt-Birne in die Fassung für eine Hundert-Watt-Birne geschraubt wurde. Ich würde dieses Netz zerstören, aber dabei würde mich der Ozean verzehren.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich, versuchte den Schmerz zu unterdrücken, während ich die Kraft des Atlantiks auf eine bestimmte Verschlingung von Phädras Netz lenkte. Sie fühlte sich komplex und stabil an, aber letztendlich war sie auch nichts anderes als einer von Anyans Übungsknoten. Sie hatte eine Naht an der Verbindungsstelle, und wenn ich diese Naht lösen könnte, würden wir entkommen. Ich wusste zwar nicht, ob ich diese schlaue Idee überleben würde, aber mir war klar, dass meine einzige Chance darin bestand, den Job so schnell wie möglich zu erledigen.
Ich öffnete mich weiter, und der Ozean reagierte darauf, indem er noch mehr von seiner Kraft in mich fließen ließ. Der Zustrom war zu viel für mich, und der Schmerz wurde beinahe unerträglich. Es fühlte sich an, als würde sich die Energie so lange in mir ansammeln, bis ich platzen würde. Unterdessen, als wolle sie ihren Anspruch auf mich noch bekräftigen, hoben sich Ranken von Meerwasser und wanden sich um meine Hand- und Fußgelenke und um meine Taille. Das Wasser liebkoste mich zärtlich wie ein Geliebter, kroch unter mein T-Shirt, um sich zwischen meinen Brüsten hindurch bis zu meinem Hals zu schlängeln. Die Elementarkraft des Ozeans floss durch meine Wasserfesseln, und ich schrie auf, als ich an die Grenze dessen kam, was ich aushalten konnte.
Der Schmerz wurde einfach zu viel und machte es mir unmöglich, mich noch länger zu konzentrieren. Aber dann spürte ich, wie sich etwas Warmes, Festes und eindeutig nicht Wässriges um meine Knöchel legte. Ich blickte an mir hinunter und sah, dass Anyans Hand
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