Jane True 02 - Meeresblitzen
meine Tasten zum Klimpern. Der Vampir stand darauf, mich zu fesseln, und obwohl ich mich absolut nicht darüber beschweren konnte, hatte ich ihm doch schon des Öfteren damit gedroht, einmal zu analysieren, was Freud wohl dazu sagen würde. Irgendwie war ich mir nie ganz sicher, dass er nur Spaß machte, wenn er sagte, eines Tages werde er mich nicht mehr losbinden.
Aber bisher hatte es jedes Mal, wenn ich ihn auf der Couch hatte, nur damit geendet, dass wir Sex hatten. Man brauchte wirklich keinen Doktor in Psychologie, um bei uns beiden Probleme mit der Impulskontrolle zu diagnostizieren. Wenn wir zusammen waren, waren wir wie zwei Kinder im Süßwarenladen, und ich genoss es.
Neben der Lampe auf dem anderen Tischchen stand einer dieser elektronischen Bilderrahmen, der digitale Bilder anzeigen konnte. Ich knipste ihn an, und zu meinem Erstaunen
sah ich mich, wie ich auf den Stufen von Notre-Dame de Québec meine Zunge in die Kamera streckte. Das nächste Bild war von mir und Ryu, wie wir grinsend unsere Gesichter aneinanderschmiegten. Dann war da noch ein schönes Schwarz-Weiß-Foto von einer schlafenden Frau, die mit nacktem Rücken zur Kamera dalag, ein Laken bedeckte ihre Hüfte. Erst nach einer Schrecksekunde begriff ich, dass es sich auch dabei um mich handelte. Schnell schaltete ich den Rahmen wieder aus. Ich fühlte mich unbehaglich, obwohl es Bilder waren, von denen ich – abgesehen von dem einen, das mich schlafend zeigte – wusste, dass sie aufgenommen worden waren. Ich kniff kurz die Augen zusammen, bevor ich nach der Schublade des zweiten Nachttischs griff.
Bis auf wahllosen Kram wie zum Beispiel eine kaputte Armbanduhr war sie leer. Ryus Krimskramsschublade war das erste Anzeichen dafür, dass hier jemand aus Fleisch und Blut lebte und kein skrupelloser Bilderbuchgigolo.
Ich schob die Lade wieder zu und ließ mich lächelnd zurück in die Kissen sinken. Es fühlte sich gut an, hier zu sein und zu sehen, wie Ryu lebte, wenn ich nicht da war. Ich drehte den Kopf, um mich in die Kissen zu kuscheln, die köstlich nach Ryu dufteten. Dann rollte ich mich auf die Seite und streckte die Hand nach dem Wecker auf dem Nachtkästchen aus, um nachzusehen, wie spät es war. Dabei stieß ich gegen das altmodische Telefon mit Wählscheibe, das protzig und stolz auf dem Tischchen thronte, und ein unscheinbares Adressbuch, das darunter gelegen hatte, kam zum Vorschein.
Es war schwarz. Ich redete mir selbst ein, dass dieses
Szenario einfach zu bescheuert klischeehaft sei. Dieses Ding konnte unmöglich Ryus »kleines schwarzes Buch« sein.
Schweren Herzens und mit zitternden Händen griff ich danach.
Tu das nicht, Jane , warnte mich mein Kopf weise. Dir wird nicht gefallen, was du siehst.
Aber ich konnte mir ebenso wenig verkneifen nachzusehen, was sich in diesem Buch befand, wie bei einem Verkehrsunfall zu gaffen.
Die Seiten des Buches waren mit Ryus ordentlicher, sachlicher Handschrift gefüllt. Wie ich es geahnt hatte, standen dort Namen und Telefonnummern. Und es gab sogar die Vampirversion einer Art Sexrangliste, die so ähnlich auch von einem menschlichen Mann hätte stammen können. Doch statt die besonderen sexuellen Vorlieben und Merkmale der Mädchen aufzulisten, zielte Ryus Bewertungssystem darauf ab, wie empfänglich die Frauen für seine Aura waren (einige Menschen waren nämlich resistenter dagegen als andere), wie viel Elixier sie von Natur aus im Blut hatten (wenig, mittel oder viel) und auf ihre Blutgruppen.
Ich schloss die Augen und ließ das Buch auf meine Brust sinken.
Meine Güte , dachte ich. Stehe ich da etwa auch drin?
Mit zitternden Fingern blätterte ich zum Buchstaben T. Obwohl es dort durchaus einige Eintragungen gab, war keine Jane True darunter. Nur um ganz sicher zu sein, suchte ich auch unter J. Aber auch dort war ich nicht aufgelistet.
Ich klappte das Büchlein zu und versteckte es wieder unter Ryus Telefon. Mir war plötzlich schrecklich kalt. Ich
vergrub mich unter der schwarzen Satinbettdecke und rollte mich zusammen.
In dem Buch stand nichts, was ich nicht sowieso schon gewusst hatte, aber es schwarz auf weiß vor mir ausgebreitet zu sehen, machte Ryus Leben ohne mich um so viel realer als bisher. Ich war nur dankbar, dass ich nicht meinen eigenen Namen unter all den anderen hatte entdecken müssen.
Diese Liste ist nichts anderes als die Schublade mit Lieferessenmenüs in seiner Küche , machte ich mir klar. Ich wusste nicht, ob ich mich dadurch besser oder schlechter
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