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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Stühle für alle, sodass sich nur die älteren Herrschaften hinsetzen können. Wir jungen Leute tanzen dafür umso ausgelassener.
    Alice hat nur Augen für Carlos. Jedes Mal, wenn ich auf der Tanzfläche an den beiden vorbeikomme– denn sie tanzt ausschließlich mit ihm–, höre ich sie kichern und gurren. Aha, denke ich, sie setzt sich mal wieder als schüchterne Unschuld in Szene. Mein Cousin, der sehr gut aussieht, aber unglaublich dumm ist, ist völlig von ihr gefangen. Es fehlt nicht viel und ihm läuft Speichel am Mundwinkel hinab. Was findet sie nur an ihm?
    Da ich das Geburtstagskind bin, muss ich mit allen möglichen Männern tanzen: zuerst mit meinem Vater, dann mit Dom Fernando, außerdem mit einem greisen General a.D., dem Bürgermeister von Vassouras, meinem Onkel Eduardo, dem Nachbarn Henrique und vielen mehr. Das ist ein weiterer Vorteil von Gustavos Nichterscheinen: Es ist mir gleichgültig, mit wem ich tanze, solange mir der jeweilige Herr nicht auf die Füße tritt und keinen Mundgeruch hat.
    Alice beobachtet mich mindestens ebenso genau wie ich sie, offenbar ist ihre Bewunderung für Carlos nicht ganz so grenzenlos, wie sie es vorgibt. Deshalb muss ich öfter mit Dom Fernando tanzen, als mir lieb ist. Er ist ein ausgesprochen guter Tänzer, zugegeben. Dennoch fühle ich mich sehr unwohl. Er umfasst meine Taille ein wenig zu besitzergreifend, er hält sein Gesicht zu nah an meines, und er flüstert mir Dinge ins Ohr, die ich von ihm nicht hören will. Zweideutigkeiten, die ein Kavalier einer Dame niemals zuraunen würde, wie etwa: » Man muss die Blumen pflücken, wenn sie frisch erblüht sind. « Es ist ganz und gar widerwärtig.
    Dennoch lächele ich und mache gute Miene zum bösen Spiel. Was bleibt mir anderes übrig? Ich kann einen Gast, den meine Eltern so schätzen, doch nicht mitten auf der Tanzfläche von mir stoßen. Dazu wäre ich im Übrigen auch gar nicht in der Lage, ich weiß nicht warum. Manchmal bin ich einfach zu passiv oder nicht schlagfertig genug.
    Â» Würden Sie mir Ihren Garten zeigen, liebe Senhorita Isabel? « , bittet er mich jetzt, und es klingt weniger wie eine Frage als vielmehr wie eine Aufforderung. Auf keinen Fall!, will ich schreien, aber mein Mund ist wie versiegelt. Wie werde ich den impertinenten Kerl nur los?
    Â» Aber es regnet in Strömen, mein sehr verehrter Dom Fernando « , sage ich steif.
    Â» Natürlich tut es das. Wissen Sie, wie schön Regentropfen aussehen, die an Blütenblättern abperlen? «
    Oh Gott, nicht schon wieder diese metaphorischen Aufdringlichkeiten. Ich zögere, weil ich nach einer guten Antwort suche. Unterdessen schaut er mir tief und, wie er vermutlich glaubt, verführerisch in die Augen. Doch ich sehe in seinem Blick weder Verehrung noch Bewunderung. Der ganze Mann strahlt nichts als Wollust aus. Er will die Blüte nicht betrachten, sie um ihrer Schönheit oder Zartheit willen bestaunen. Er will sie besitzen.
    Â» Oh, verzeihen Sie mir, Dom Fernando, da kommt gerade Senhor Tavares, dem ich ein Tänzchen versprochen habe « , sage ich und winde mich aus seinen Armen.
    Dann suche ich schnell das Weite. Leider begehe ich den Fehler, von der Treppe aus noch einmal zurückzublicken. Dom Fernando grinst mich ölig und siegesgewiss an, als wolle er sagen: Ich durchschaue dich, und alle Ausflüchte werden dir nichts nützen, denn ich erreiche meine Ziele für gewöhnlich.
    Auf dem Weg zu meinem Zimmer, in dem ich mich für ein paar Minuten sammeln muss, höre ich Stimmen aus dem Zimmer meiner Eltern. Ich bleibe kurz stehen, um mich zu vergewissern, dass sie tatsächlich da drin sind. Es erscheint mir sehr ungewöhnlich, schließlich haben wir das Haus voller Gäste, um deren Wohl es sich zu kümmern gilt.
    Ich habe nicht die Absicht, ihre Unterredung zu belauschen. Doch als ich meinen Vater sagen höre: » Sie ist kein Kind mehr «, und mir schwant, dass es in ihrem Gespräch um mich geht, kann ich nicht umhin, mein Ohr an die Tür zu pressen.
    Â» Nein, sie ist kein Kind mehr. Aber auch noch keine Frau « , gibt meine Mutter zu bedenken.
    Ach, denke ich entrüstet, und was feiern wir dann hier gerade? Doch wohl meine festa de quinze anos, meine Frau-Werdung. Für was hält sie mich?
    Â» Natürlich ist sie eine Frau, Rosália. «
    Danke, pai!, denke ich und muss an mich

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