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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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er sich unterstehen, Gustavos Brief zu lesen?! Doch dann fällt mir wieder der Bogen ein, den ich im Haus des Schufts gefunden und an mich genommen habe.
    Lu schaut auf. Sein Blick verweilt ganz kurz auf meinem Körper, bevor er ihn wieder senkt, ein wenig verlegen, wie mir scheint. Ich schaue an mir hinunter und stelle fest, dass das nasse Hemd des Fischerjungen transparent an mir klebt. Meine Brüste sind gut zu erkennen, ebenso wie die genauen Konturen meines Körpers. Das Ganze ist mir äußerst peinlich. Ich zupfe an dem nassen Stoff herum, der sich schmatzend von meiner Haut löst, leider aber die Tendenz hat, sich immer wieder anzuschmiegen. Ich verschränke die Arme vor der Brust, mehr fällt mir auf die Schnelle nicht ein.
    Â» Hast du wieder in meinen Sachen gestöbert? « , frage ich.
    Â» Ich wollte diesen ominösen Brief lesen, den du gefunden hast. Aber die Schrift ist nur sehr schwer zu entziffern. Komm, setz dich zu mir, vielleicht gelingt es uns gemeinsam besser. «
    Â» Noch nicht « , sage ich. » Ich muss erst ein bisschen trocknen. « Ich entferne mich ein paar Schritte von der Hütte. Als ich mich unbeobachtet glaube, breite ich die Arme aus und stelle mich gegen den Wind. Die warme Brise wird mich mitsamt den Kleidern schnell trocknen.
    Es wird plötzlich sehr schnell dunkel. Der Himmel ist wieder zugezogen, und die dünne Mondsichel, die gestern noch zu sehen war, würde ohnehin nicht viel Licht spenden, wenn sie denn zu sehen wäre. Im Zentrum von Rio sorgen die Lichter der Stadt dafür, dass es nie ganz finster wird. Hier jedoch ist die Dunkelheit echt und unverfälscht. In einiger Entfernung ist der Lichtschein eines Feuers vor einer Hütte zu sehen– die Fischer scheinen heimgekehrt zu sein. Vor unserer Hütte sehe ich ab und zu Funken sprühen. Ich glaube, Lu versucht ein Feuer zu machen.
    Ich bin noch immer klebrig, feucht und salzig, als ich zu Lu zurückgehe. Doch ich mag nicht länger abseits der Hütte stehen, denn ich grusele mich ein bisschen an dem dunklen, einsamen Strand mit den tosenden Wellen, die mit einer ebenso grausigen wie faszinierenden Urgewalt am Ufer zerbrechen.
    Â» Bel, das ist unglaublich! « , ruft Lu, als er mich kommen sieht. » Das glaubst du nie im Leben, was du da für ein sagenhaftes Schriftstück ergattert hast. Volltreffer! «
    Â» Ach, tatsächlich? « Ich setze mich zu ihm und beobachte, wie er ein Feuer entzündet und das feuchte Treibholz sowie ein paar zerrupfte Palmblätter zum Brennen bekommt. Das stark qualmende Feuerchen würde weder zum Wärmen noch zum Kochen etwas taugen, doch sein orangefarbenes Flackern reicht aus, um den Brief zu lesen, was wohl genau der Grund dafür ist, dass Lu es überhaupt angezündet hat.
    Mir fällt etwas ein, das Lu heute Morgen gesagt hat, und ich frage mich, was es zu bedeuten hatte. » Sagtest du nicht, du brächtest mich an einen Ort, der die Hölle ist? Ich finde dieses Fleckchen Erde eher paradiesisch. «
    Â» Was? « Er sieht mich abwesend an. » Ach so, ja. Na ja, ich habe es mir anders überlegt. Eigentlich wollte ich dich im Hafengebiet verstecken, dort kenne ich ein paar sehr gute Ecken, wo dich kein Mensch gefunden hätte. Aber als ich dein besorgtes Gesicht gesehen habe, habe ich es mir anders überlegt. «
    Â» Gott sei Dank! Hier gefällt es mir. Wenn wir jetzt noch etwas zu essen oder zu trinken auftreiben könnten… «
    Â» Geduld, Bel, Geduld. Du musst erst das hier lesen. « Er reicht mir den Brief und ich beginne mit der anstrengenden Lektüre.
    Bela Vista, 18. Mai 1885
    Meine geliebte Schwester,
    nun ist es gerade eine Woche her, da ich Dir von all den Dingen berichtet habe, die sich hier tun …
    Â» Lu, muss das sein? « , quengele ich und lasse den Bogen sinken. » Sag mir doch einfach, was drinsteht. Ich kann bei dem Licht diese Schrift kaum entziffern. «
    Â» Ja, das muss sein. Lies selbst. «
    Ich seufze gequält auf und fahre mit der Lektüre fort.
    â€¦und von denen einige mein größtes Missfallen erregen. Es tat gut, sich Dir anzuvertrauen. Wie sehr Du mir schon jetzt fehlst! Wir sollten uns öfter in der Stadt treffen, so voll unsere Terminkalender, beziehungsweise die unserer Ehegatten, auch sein mögen.
    Heute schreibe ich Dir, um Dir von den neuesten Verfehlungen meines geliebten Sohnes zu berichten. Du bist der einzige

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