Januarfluss
und schmiege mich in diese unerwartet liebevolle Umarmung.
Ich bin froh, dass wir einander nicht in die Augen sehen müssen.
28
Wir umrunden den Zuckerhut ohne weitere Vorkommnisse dieser Art. Unser Kapitän segelt am langen weiÃen Sandstrand von Copacabana entlang, bis wir ganz am Ende, kurz vor der kleinen Kapelle auf der herausragenden Felsspitze von Arpoador, angelangt sind. Hier ist die Brandung weniger stark und erlaubt eine sichere Anfahrt an den Strand. Lu hüpft mit einem Satz ins Wasser, das etwa knietief ist, schultert den Seesack und reicht mir seine Hand, um mir den Ausstieg zu erleichtern. Ich springe und lande sicher im seichten Wasser. Das Fischerboot wendet und segelt davon, während wir ans Ufer waten, argwöhnisch beobachtet von ein paar Möwen. Menschen sind weit und breit nicht zu sehen, obwohl ein paar verstreute Fischerhütten vermuten lassen, dass sich durchaus jemand in der Nähe aufhalten könnte.
» Die sind alle auf der anderen Seite von Arpoador « , erklärt Lu. » Dort hat man einen fantastischen Blick auf die Dois Irmãos, die ⺠Zwei Brüder ⹠, hinter denen die Sonne untergeht. «
Die Dois Irmãos sind zwei Berge, die dicht nebeneinander stehen. Sie sind, ähnlich wie der Zuckerhut und der Corcovado, kegelförmige Granitfelsen, wie sie sich immer wieder zwischen den Stränden und den Niederungen von Rio erheben und für das charakteristische Bild der Stadt sorgen.
Erst jetzt, da Lu den Sonnenuntergang anspricht, fällt mir auf, dass die Abenddämmerung längst eingesetzt hat. Wir haben den ganzen Tag gebraucht, um hierherzukommen. Die Wolkendecke, die seit dem Morgen geschlossen war und aus der es hier und da ein wenig geregnet hat, ist an einigen Stellen aufgerissen, sodass man den schön verfärbten Himmel sehen kann. Mir fällt ebenfalls auf, dass wir beide nichts gegessen haben. Die Aufregung oder was auch immer hat mich meinen Hunger vergessen lassen, der jetzt dafür umso unbarmherziger zuschlägt. Mein Magen knurrt so laut, dass Lu ihn trotz der lauten Brandung hören kann. Er grinst mal wieder spöttisch.
» Ich hoffe, du magst Fisch und Meeresfrüchte « , sagt er und geht leichtfüÃig durch den Sand. Ich folge ihm, finde es aber auÃerordentlich anstrengend, mich durch den Sand zu bewegen. Die feinen Körnchen, die die Hitze des Tages gespeichert haben, scheinen meine Beine irgendwie zu bremsen, sodass ich mich doppelt anstrengen muss.
Wir kommen zu einer Hütte, die etwas abseits von den anderen Fischerhütten steht. Ich bin durchgeschwitzt und starre sehnsüchtig auf das kühle Nass des Meeres. Ein Bad wäre jetzt genau das Richtige, auch wenn es ein salziges wäre. Was dem Kaiser guttut, kann auch mir nicht schaden, oder? Allerdings würde der Kaiser sich bestimmt nicht ohne Aufsicht und ohne Sklaven, die ihm vor, während und nach dem Bad behilflich sind, in die halsbrecherischen Wellen des offenen Ozeans stürzen.
» Vergiss es « , sagt Lu, der wieder einmal weiÃ, woran ich gerade gedacht habe. » Es ist zu gefährlich. Es gibt hier Unterströmungen, die sogar einem groÃen, schweren Mann die FüÃe wegreiÃen können. «
» Schade. Und eine Quelle, einen Fluss oder einen Wasserfall gibt es hier nicht zufällig? «
» Nicht in unmittelbarer Nähe. Aber hinter der Hütte steht eine Regenwassertonne. An der hängt auch eine groÃe Schöpfkelle, sodass du dich mit dem Wasser übergieÃen kannst. «
Ich kann es kaum erwarten, genau das zu tun, und wende schon auf der Ferse, als Lu mir nachruft: » Trink aber nichts davon. Es könnte verunreinigt sein. «
Ich finde die Tonne im schwindenden Tageslicht. Wie beschrieben, hängt eine Kelle an ihr. Meine Kleider behalte ich an, denn auch die können eine Dusche vertragen, und begieÃe mich wieder und wieder mit Wasser. Ich könnte ewig so weitermachen, bis die Tonne leer ist. Es fühlt sich groÃartig an, die Müdigkeit und den Schmutz abzuspülen. Dass meine Kleider nass sind, stört mich nicht. Bei der Hitze trocknen sie ja schnell.
AnschlieÃend gehe ich wieder zur Vorderseite der Hütte. Lu sitzt im Sand, die Beine ausgestreckt und mit dem Rücken an das morsche Holz der Hütte gelehnt. Der geöffnete Seesack steht neben ihm, in den Händen hält Lu einen Brief. Im ersten Moment erstarre ich vor Entrüstung: Wie kann
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