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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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erreichen uns. Fernando erstarrt für einen winzigen Moment, als er mich bemerkt. Dann bückt er sich und wühlt in Lus Taschen, die er garantiert selbst zuvor mit dem angeblich gestohlenen Betrag gefüllt hat.
    Ich weiß, dass ich nur diese eine Chance habe, um von hier zu verschwinden. Wenn ich bleibe, werde ich als Zeugin aussagen müssen oder, was noch schlimmer wäre, von Fernando verfolgt. Es gibt nichts, was ich jetzt für Lu tun könnte, also nutze ich das allgemeine Getümmel, um das Weite zu suchen.
    An der Straßenecke werfe ich einen kurzen Blick zurück auf die Szene, die ich mir nicht schrecklicher hätte ausmalen können. Mein Blick trifft den von Fernando.
    Trotz der Entfernung erkenne ich, dass in seinen Augen der reine Hass glüht.

30
    Man hat Lu notdürftig verarztet und ins Gefängnis gebracht. Ich glaube inzwischen, dass dies gar nicht mal das Schlechteste ist. Dort kann Fernando ihm nicht noch mehr schaden, und ich bin überzeugt davon, dass Lu sich auch innerhalb der Gefängnismauern gut zu behaupten weiß. Er kann sich überall durchschlagen, dann wird es ihm unter lauter Kriminellen doch wohl ebenfalls gelingen, oder? Ein leiser Zweifel bleibt jedoch, und in manchen Momenten denke ich an die schrecklichen Dinge, die Lu dort widerfahren könnten. Dann wieder rufe ich mir die noch viel schrecklicheren Dinge in Erinnerung, die Fernando ihm antun würde, wenn er ihn in die Finger bekäme. Also wird es doch so sein: Das Gefängnis ist für Lu derzeit einer der sichersten Aufenthaltsorte.
    Um meine eigene Sicherheit ist es weniger gut bestellt. Ich weiß, dass Fernando keine Ruhe geben wird, bis er mich und den entlarvenden Brief in seiner Gewalt hat. Ich bin, wieder einmal, auf der Flucht. Ein wenig Geld habe ich noch, und mittlerweile weiß ich ja, wie man sich vor Verfolgern versteckt. Dennoch ist mir ganz flau vor Angst. Ich bin ganz auf mich allein gestellt. Ich brauche Lu, seinen Zuspruch, seine Kraft und seinen Optimismus. Ohne ihn fühle ich mich nicht in der Lage, gegen einen übermächtigen Feind wie Fernando zu kämpfen.
    Im Grunde bleibt mir jetzt nur ein Ausweg: Ich muss nach Hause fahren und meine Eltern einweihen. Mit dem Brief von Dona Margarita wird es mir gelingen, sie von Fernandos Schlechtigkeit zu überzeugen. Ich hoffe außerdem darauf, dass ich sie dazu bringen kann, sich für Lu zu verbürgen und ihn aus dem Gefängnis zu befreien. Mit ihrer Hilfe werde ich es vielleicht sogar schaffen, die Machenschaften Fernandos aufzudecken und Rosa sowie die anderen Sklaven auf Bela Vista zu befreien. Ja– ich werde nach Águas Calmas zurückkehren.
    Dieser Entschluss ruft eine so große Erleichterung in mir hervor, dass ich weinen könnte vor Glück. Der Gedanke, zu Hause endlich Schutz, Geborgenheit und Verständnis zu finden, ist erlösend. Und er wirkt sich positiv auf meine Moral aus, auf meine Stimmung und meinen Kampfgeist. War ich eben noch niedergeschlagen und untröstlich über Lus und mein Pech, so hebe ich nun wieder stolz mein Kinn und sehe voller Zuversicht der näheren Zukunft entgegen: Lu wird freikommen, genau wie seine Schwester. Fernando wird für den Mord an seinen Eltern zum Tode verurteilt werden. Und ich werde den Rest des Weges, der zu diesem Ziel führt, allein gehen. Ich werde es ab jetzt auch ohne Lu schaffen, da bin ich mir plötzlich ganz sicher.
    Ich gehe zurück zu der billigen Pension, in der ich die vergangenen Nächte verbracht habe. Dabei schlage ich ein paar Haken, um mögliche Verfolger abzuhängen. Meine Sachen sind schnell gepackt, doch ich nehme mir noch die Zeit für ein paar Sicherheitsvorkehrungen. So fertige ich eine weitere Abschrift von dem Brief an, die ich bei mir tragen werde, denn die Kopie, die Lu bei sich trug, hat der Schuft bestimmt längst vernichtet. Das Original schicke ich per Express an Alice, die einzige Person, der ich zutraue, dass sie die Zeilen zu deuten weiß. Alice wird die richtigen Schlüsse ziehen und, sollte mir etwas zustoßen, den Schuft zur Verantwortung ziehen. Außerdem schreibe ich eine kurze, anonyme Mitteilung an die Polizei, in der ich behaupte, Dom Fernando habe die seit Wochen verschwundene Senhorita Isabel de Oliveira entführt und halte sie auf seiner Fazenda Bela Vista gefangen. Ha! Wenn die Behörden diesem Hinweis nachgehen sollten, wird man bei der Befragung seines Personals

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