Januarfluss
mit angeschlossenem Kaffeehaus, habe ich eine Idee. Mein Gepäck, das mir noch Minuten zuvor als schwere Bürde erschienen war, wird meine Rettung sein. Ich hole tief Luft, drücke den Rücken durch und betrete die confeitaria mit hochnäsiger Attitüde. Kein Kellner wird es wagen, mich aufzuhalten, geschweige denn hinauszuwerfen, denn ich sehe aus wie ein reiches Mädchen und benehme mich wie eines.
Ich gehe zu den Waschräumen. Dort krame ich meine inzwischen gewaschene Fischerjungen-Verkleidung aus meinem Beutel. Schnell schlüpfe ich in die Sachen und setze die Mütze auf. Bevor ich den Damen-Waschraum verlasse, überprüfe ich, ob die Luft rein ist. In dem kleinen Flur, der offenbar weiter zur Küche und zu den Lager- und Kühlräumen geht, ist niemand zu sehen. Ich husche rasch durch den Flur, in der Hoffnung, dass ich sofort den Hinterausgang beziehungsweise den Lieferanteneingang finde, denn durch den vorderen Gastraum kann ich ja in meiner Aufmachung unmöglich laufen.
» He, du da! « , ruft mir ein dicker Mann mit weiÃer Bäckermütze nach. » Was hast du hier verloren? «
Ich würdige ihn keines Blickes, sondern laufe schnell weiter. Hoffentlich ist es keine Sackgasse, die in einer Kühlkammer oder einer Personalgarderobe endet. Aber ich habe Glück: Vor mir, am Ende des Gangs, steht eine Tür sperrangelweit offen. Ich sehe schon die Müllbehälter, die dort drauÃen stehen. Das bedeutet, dass es aus diesem Hof auch einen Ausgang geben muss, durch den der Abfall abtransportiert wird.
Ich bin viel flinker als der dicke Bäcker, der mir keuchend nachläuft. Ich renne durch das Hoftor, das zum Glück geöffnet ist, und verschwinde aus seinem Blickfeld. Wahrscheinlich ist ihm ohnehin schon die Puste ausgegangen. Ein paar Sekunden verharre ich vor der Feuertür eines Warenlagers und orientiere mich. Die Wochen in Rio haben mich die Stadt kennenlernen lassen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte, daher weià ich ziemlich genau, wo ich mich befinde.
Dagegen habe ich keine Ahnung, wo ich jetzt hinsoll. Meine bisherigen Adressen, unter anderem die von Angélicas Wohnung, sind nicht sicher. Dort wurde ich bereits gesucht, und der Schuft hat bestimmt gute Kontakte zur Polizei, sodass er mich dort schnell finden würde. Der einzige Zufluchtsort, der meiner Meinung nach noch geheim ist, ist Aldemiras Wohnung in Santa Teresa. Ausgerechnet.
Was bleibt mir anderes übrig? Ich mache mich zu Fuà auf den Weg dorthin, denn selbst für eine StraÃenbahn-Fahrkarte reicht mein Geld nicht mehr. Es ist ein beschwerlicher Marsch, zum einen, weil ich bepackt bin, zum anderen, weil ein GroÃteil der Strecke bergauf führt. Als ich endlich in der Rua Monte Alegre ankomme, bin ich halb ohnmächtig vor Erschöpfung und vor Durst. Ich klopfe an, doch da fällt mir ein, dass Aldemira ja im Kaufmannsladen in der nächsten QuerstraÃe arbeitet. Ich könnte heulen, weil ich nun doch wieder mein Gepäck nehmen und weitergehen muss. Hätte ich mir doch bloà die Briefmarke für diese Mitteilung an Aldemira gespart, die durch mein persönliches Erscheinen ja überflüssig geworden ist, dann könnte ich mir jetzt wenigstens etwas zu trinken kaufen.
Trotz meiner ungewöhnlichen Aufmachungâ in weiten Hosen und blau-weiÃem Ringelhemdâ erkennt Aldemira mich sofort. Sie erfasst ebenfalls auf einen Blick, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stehe, und reicht mir wortlos ein Glas Wasser. Dann, noch immer haben wir kein Wort miteinander gewechselt, reicht sie mir ihren Schlüsselbund. Ich könnte ihr ihre königlichen FüÃe küssen!
Mit letzter Kraft erreiche ich ihr Haus. Ich trete ein und fühle mich wie ein Einbrecher, der sich unbefugt Zugang verschafft hat. Auf Zehenspitzen gehe ich durch die verdunkelten Räume. Bestimmt schlieÃt Aldemira die Fensterläden nach dem morgendlichen Durchlüften, damit die unerbittlich heiÃe Sonne die Wohnung nicht noch mehr aufheizt. Das schummrige Licht schafft eine unheimliche Atmosphäre, die von der völligen Stille noch verstärkt wird. Wenn jetzt ein Gespenst auftauchen würde, wäre ich kein bisschen erstaunt.
Ãber allem hängt ein zarter Rosenduft. Dieser Duft ist so persönlich, dass ich das Gefühl habe, Aldemiras Privatsphäre aufs Gröbste zu verletzen. Dabei bin ich wirklich auÃerordentlich
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