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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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herausfinden, dass sich die gesuchte Dame tatsächlich auf Bela Vista aufhielt. Fernando wird in arge Erklärungsnot geraten.
    Zuletzt verfasse ich eine kurze Notiz an Aldemira, deren voller Name und Adresse mir noch deutlich im Gedächtnis ist. Leider. Aldemira dos Santos, Rua Monte Alegre15. Ich hoffe, dass ich diese Frau und alles, was mit ihr zu tun hat, nach meiner Heimkehr möglichst schnell vergesse. Aber diesen Schrieb muss sie unbedingt noch bekommen: Ich teile ihr mit, dass Lu im Gefängnis sitzt. Außer mir weiß sonst niemand davon und keiner würde sich um ihn kümmern. Ich hoffe, dass Aldemira Lu dort besucht und ihm frische Kleidung und etwas Vernünftiges zu essen mitbringt.
    Dann zähle ich mein restliches Geld. Es reicht, um damit Briefmarken sowie eine Fahrkarte nach Vassouras zu kaufen. Vom dortigen Bahnhof aus werde ich eine Mietkutsche nehmen, den Fahrer können dann meine Eltern bezahlen, sobald ich auf Águas Calmas eintreffe. Die Vorstellung, wie mich alle herzen und umarmen werden, macht mich so froh, wie ich es seit Langem nicht mehr war. Ach, wie sehr ich sie vermisse!
    Beschwingt mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Der nächste Zug geht in einer halben Stunde, und ich nutze die Zeit, um meine Post aufzugeben und um mir von den allerletzten Kupfermünzen noch einen kleinen Imbiss und einen cafézinho zu gönnen. Bald schon ist diese zermürbende Sparsamkeit nicht mehr nötig, endlich werde ich mir wieder alles leisten können, wonach mir der Sinn steht. Dass es um die Finanzen meiner Eltern nicht allzu rosig bestellt ist, verdränge ich in diesem Moment.
    In meinem Überschwang und meiner Vorfreude auf die glückliche Heimkehr verdränge ich jedoch auch, dass ich noch immer in ernster Gefahr schwebe.
    Ich sehe den Schuft erst, als ich schon im Begriff bin, in meinen Waggon einzusteigen.
    Das Herz bleibt mir stehen. Hinter mir drängeln andere Fahrgäste. » Nun machen Sie schon, junges Fräulein! « , höre ich, und: » Steigen Sie ein oder steigen Sie aus, aber versperren Sie nicht die Tür! « – » Jetzt entscheiden Sie sich gefälligst, vor oder zurück? « , ruft ein Mann ungehalten. Ja, denke ich, genau das ist nun die Frage: Vor oder zurück?
    Wenn ich einmal in dem Zug bin, gibt es kein Entkommen mehr, sollte auch Fernando eingestiegen sein. Wenn ich aber jetzt nicht diese Eisenbahn nehme, werde ich erbarmungslos gejagt. Ich habe kein Geld mehr und kann auch nicht mehr auf Lus Unterstützung zählen. Wie soll ich das schaffen?
    Fernando hat mich noch nicht entdeckt. Ich sehe, dass er in einen der vorderen Waggons einsteigt. Das dürfte meine beste Chance sein. Ich dränge mich durch die Menschentraube, die hinter mir in den Zug einsteigen will, und rufe allseits Kopfschütteln und erboste Kommentare hervor. Im Gewühl auf dem Bahnsteig ist es leicht, sich ungesehen aus dem Staub zu machen. Ich gehe zügig, aber nicht hektisch, Richtung Ausgang. Ich darf auf keinen Fall noch mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Den Kopf halte ich gesenkt, nur aus den Augenwinkeln beobachte ich, was um mich herum geschieht.
    Wenn Fernando im Zug nach hinten läuft, ich aber auf dem Bahnsteig nach vorn, dann müssten wir jetzt bald auf gleicher Höhe sein. Ich wage einen Blick durch das Zugfenster ins Innere des Waggons– und sehe, wie er sich genau vor meiner Nase in diesem Augenblick durch die einsteigenden Passagiere mit ihren Koffern und Taschen kämpft. Wie auf ein geheimes Signal hin dreht er den Kopf und sieht aus dem Fenster. Ich schwöre, dieser Mann besitzt die Instinkte einer Giftschlange. Ich starre ihn an, er starrt zurück. Fast rechne ich damit, dass er eine gespaltene Zunge zischeln lässt, und einen Augenblick bin ich starr wie das sprichwörtliche Kaninchen, hypnotisiert im Angesicht der tödlichen Gefahr. Und dann renne ich los. Ich rempele Leute an und errege Unmut unter den Reisenden, aber all das ist mir ganz egal. Ich laufe so schnell es meine Beine zulassen.
    Mein Vorsprung ist klein, aber ich weiß, dass ich ihn abhängen kann. Er wird von den Fahrgästen, die durch die Türen des Zuges hineinwollen, aufgehalten werden. Er wird weitere kostbare Zeit verlieren, weil er vor dem Bahnhofsgebäude die Leute fragen muss, ob sie mich gesehen haben. Das dürfte reichen, um mich in Sicherheit zu bringen.
    Vor einer eleganten confeitaria, einer Konditorei

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