Januarfluss
Kerl herum, den ich noch nie hier gesehen habe. «
» Mein Gott! Wie sieht er aus? «
» Ziemlich gut. WeiÃ. Und reich. «
So kurz diese Beschreibung auch ist, sie könnte treffender nicht sein. Das ist er.
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Wie konnte es ihm gelingen, mich hier aufzuspüren? Ich war mir so sicher, ihm entwischt zu sein. Der einzige Vorteil, den er mir gegenüber hatte, war der, dass er sich eine Droschke oder auch ein Pferd nehmen konnte, während ich zu Fuà unterwegs war. Damit konnte er natürlich viel schneller sein, aber immerhin hätte er mich erst entdecken und dann auch noch erkennen müssen. Vielleicht war ich als Fischerjunge doch nicht so überzeugend, wie ich dachte. Vor allem als Fischerjunge, der mit einem schweren Seesack durch die Gassen der Innenstadt rennt, als sei der Leibhaftige persönlich hinter ihm her.
Der Seesack! Daran muss er mich erkannt haben. Den hatte ich bereits am Bahnhof dabei, ohne daran zu denken, wie merkwürdig eine junge Dame aussehen muss, die mit einem solchen Gepäckstück reist und es auch noch selbst trägt. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen oder einen Tumult zu erzeugen, in dem ich dann wieder hätte fliehen können, ist Fernando diesmal raffinierter vorgegangen. Er hat mich verfolgt, mich beobachtet, mich in die Enge getrieben. Er weiÃ, wo ich stecke, und er wartet nur noch einen günstigen Moment ab, um mich in seine Gewalt zu bringen. Vermutlich wird er mitten in der Nacht in das Haus eindringen wollen. Ich sitze in der Falle.
» WeiÃt du, was das Beste an meiner ehemaligen Senhora war? « , fragt Aldemira mich, als säÃen wir in einer netten Plauderrunde zusammen.
Ich schüttele unwirsch den Kopf. Mir ist jetzt wirklich nicht nach Anekdoten aus Aldemiras Leben oder gar aus dem ihrer groÃherzigen Herrin zumute.
» Das Beste an ihr war ihr Verfolgungswahn. «
» Wenn du mir Verfolgungswahn unterstellen willst, darf ich dich darauf hinweisen, dass du selbst meinen Verfolger entdeckt hast, nicht ich. «
» Sie glaubte nämlich « , fährt Aldemira ungerührt fort, » dass alle möglichen Leute hinter ihr her wären. Ihr verstorbener Gemahl war ein Diplomat und als solcher in geheime Regierungsdinge eingeweiht. Nach seinem Tod war die Senhora partout nicht von dem Glauben abzubringen, dass irgendwelche Spione sie verfolgten, um ihr Dokumente abzujagen, die sie gar nicht besaÃ. Es war wirklich mitleiderregend, wie sie die letzten zehn Jahre ihres Witwendaseins damit verbrachte, den eingebildeten Agenten ein Schnippchen zu schlagen. «
» Die Ãrmste. « Meine Stimme trieft vor Sarkasmus.
» Ja, die arme Frau, Gott sei ihrer lieben Seele gnädig. «
» Amen. «
» Diesem Verfolgungswahn hat dieses Haus hier einen geheimen Ausgang zu verdanken. «
» Was?! « Plötzlich lausche ich ihr wieder ganz gefesselt. Vorübergehend bestand durchaus die Gefahr, dass ich bei der Geschichte einschlafe.
» Ja « , grinst Aldemira, » stell dir vor. Das ist genau der Grund, warum ich flüchtigen Sklaven hier Zuflucht gewähre. Man hat keinen je durch die Vordertür wieder hinausgehen sehen. «
» Das ist, das ist⦠« , stammele ich.
» Fantastisch? « , schlägt Aldemira vor.
» Genau. Im wahrsten Sinne des Wortes fantastisch. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas im wahren Leben gibt. Ich dachte, solche geheimen Ausgänge würden ausschlieÃlich der Fantasie von Romanautoren entspringen. «
» Die gute Senhora hatte eine überbordende Vorstellungskraft. Daneben verblassen selbst die ausgefallensten Fantasien eines Schreiberlings. «
» Oh mein Gott, Aldemira! « , rufe ich aus. » Ich bin gerettet! «
» Noch nicht ganz. Erst musst du dich durch diesen Ausgang quälenâ und glaub mir, das ist nicht ganz ohne. Dann musst du ungesehen über die StraÃe kommen, und schlieÃlich musst du dich an einem anderen Ort verstecken, den ich dir noch beschreiben werde. Dieser Fluchtweg hat verschiedene Schwachstellen, freu dich also nicht zu früh. «
» Wie viele deiner, äh, Schützlinge wurden auf diesem Fluchtweg schon geschnappt? « , frage ich.
» Keiner. «
Ich grinse sie triumphierend an. » Na also. «
» Aber das waren auch Schwarze. Sie waren gerissen, zu allem entschlossen und sich für nichts zu schade. Ob ein weiÃes Dämchen wie du es schafft, weià ich
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