Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
beschuhten Füße sich langsam vom Kellerfenster entfernen. Wahrscheinlich tritt Fernando nun in Dona Martas Kneipe ein.
    Ich kann es mir genau vorstellen: Sobald er hereinkommt, legt sich bleierne Stille über den verqualmten Raum. Alle werden aufhören zu reden, alle werden innehalten in dem, was sie gerade tun. Gabeln, die auf dem Weg zum Mund in der Luft verharren, Gläser, die nicht abgestellt werden, Würfel, die nicht mehr fallen. Die Leute hier denken sofort an das Schlimmste, wenn ein reicher Weißer ihre Welt betritt. Zu Recht.
    Vor meinem geistigen Auge geht Fernando jetzt auf die Wirtin zu. Sie wird ihn mit zusammengekniffenen Augen mustern und in unwirschem Ton fragen: » Sie wünschen, Senhor? «
    In diesem Augenblick kommt das bekannte Klopfen von der Tür und reißt mich abrupt aus meinen Gedanken. Ich erschrecke mich fast zu Tode.
    Â» Habe was vergessen « , murmelt José entschuldigend. Er geht zu einem Regal und sucht darin nach etwas. Als er es nicht auf Anhieb findet, schimpft er leise vor sich hin.
    Und plötzlich habe ich eine Idee.
    Â» José « , sage ich, » du musst mir einen Gefallen tun. Sofort. «
    Â» Aber wenn ich ohne die Chilisoße hochgehe, setzt es eine Kopfnuss von Dona Marta. «
    Â» Bitte, José, es geht um Leben und Tod. Geh um Gottes willen sofort hinauf, ohne deine verfluchte Chilisoße, und gib dies hier dem Fremden, der in diesem Augenblick da oben nach mir sucht. Sag ihm, du hättest mich vor ein paar Tagen mal gesehen, in Begleitung eines jungen Schnösels, und sag ihm, ich hätte dies hier verloren. « Damit ziehe ich Gustavos Brief aus dem Seesack.
    Nachdem ich den Brief wochenlang mit mir herumgetragen habe, ihn immer wieder herausgenommen und auseinandergefaltet und gelesen habe, ist das Papier inzwischen so weich wie Stoff. An den Faltkanten ist er grau und pelzig.
    Â» Aber Dona Marta wird… «
    Â» Dona Marta wird dir dankbar sein. Bitte, José! «
    Er sieht mich nachdenklich an, dann nickt er und greift nach dem Brief.
    Ich hoffe, dass der Junge sich alles gemerkt hat, was ich ihm gesagt habe. Und ich hoffe, dass das wirkliche Szenario dort oben auch nur ansatzweise dem aus meiner Vorstellung ähnelt. Vielleicht ist Fernando ja gar nicht in die Schänke gegangen.
    Â» Wenn du zurückkommst, zeige ich dir, wo die Chilisoße steht « , rufe ich ihm nach.
    Ich höre noch einen leisen Fluch, bevor die Kellertür hinter José zufällt.
    Angespannt und mit wild galoppierendem Puls bleibe ich zurück. In meinem Kopf überstürzen sich die abenteuerlichsten Bilder, die fürchterlichsten Szenen. Oh mein Gott, hoffentlich funktioniert meine Finte.
    José kann höchstens fünf Minuten fort gewesen sein, doch für mich fühlt sich diese Zeit an wie eine Ewigkeit. Jeden Moment erwarte ich, dass ein ganzes Bataillon Gendarmen den Keller stürmt und mich abführt. Doch nichts dergleichen passiert.
    Tok-tok-tok– tok-tok. José ist zurück. Allein.
    Â» Was war das für ein Wisch? « , fragt er mich.
    Â» Nichts weiter. Ein alter Brief. «
    Â» Na, dein alter Brief hat den feinen Herrn jedenfalls sehr interessiert. Im Laufschritt ist er aus dem Schankraum verschwunden, schnell und lautlos wie eine Katze. «
    Â» Was hat er gesagt? «
    Â» Woher soll ich das wissen? Ich war ja hier unten, als er erklärte, was er wollte. Und als ich raufkam, hat er mich bloß gefragt, ob ich ein weißes Mädchen mit schwarzen Haaren und grünen Augen kenne. «
    Â» Und? «
    Â» Na ja, ich hab ihm das gesagt, was du mir gesagt hast, was ich zu ihm sagen soll. «
    Â» Und? «
    Â» Und dann ist er schnurstracks rausgelaufen. Die Münzen, die auf dem Tresen vor ihm lagen, wahrscheinlich um uns zum Reden zu bringen, hat er liegen gelassen. Aber Dona Marta hat sie einkassiert. «
    Â» Wenn alles überstanden ist, gebe ich dir eine Belohnung. «
    Â» Mir wär’ mehr damit geholfen, wenn du mir jetzt zeigen würdest, wo ich die verdammte Chilisoße finde. «
    Ich lächele. Dann wird mein Lächeln immer breiter, bis ich schließlich lauthals lache. Ich lache und lache, ich kann nicht mehr aufhören damit. Mein Bauch tut schon weh und mir kommen die Tränen vor lauter Gelächter. Ich gehe zu dem Regal, in dem die Gläser mit den in Öl eingelegten Chilischoten stehen, und reiche José eines davon. Inzwischen ist

Weitere Kostenlose Bücher