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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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selbst nichts, vermutlich habe ich deshalb diesen unverschämten Ton an mir. Wie soll man seiner besten Freundin das Unerklärliche erklären?
    Â» Hier « , sagt Alice und reicht mir einen Leinenbeutel. » Ich hoffe, du kommst damit fürs Erste zurecht. «
    Â» Danke. «
    Â» Und noch etwas. «
    Â» Ja? «
    Â» Lass deinen Eltern eine Notiz zukommen, dass es dir gut geht. «
    Â» Was geht dich das an? « Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Warum bin ich so biestig?
    Alice sieht mich traurig an. » Isabel, ich weiß nicht, was in dich gefahren ist. Ich habe dir nichts getan, oder? Also lass es nicht an mir aus. « Auf einmal verhärtet sich ihre Miene. » Wenn ich erfahre, dass deine Familie in drei Tagen noch keine Nachricht von dir erhalten hat, dann werde ich es ihnen höchstpersönlich sagen. Und was das bedeutet, weißt du ja wohl. Sie werden mich ausquetschen und jeden in unserem Haus ebenfalls. Miazinha wird reden, denn der Blumenstrauß hat sie zutiefst fasziniert– genau wie die Tatsache, dass ich eine halbe Stunde nach deinem Erscheinen mit einem prall gefüllten Beutel auf die Straße gelaufen bin. Die Dienstboten registrieren solche Dinge ganz genau und dann kommt noch ihre Geschwätzigkeit hinzu… All das wird also herauskommen, und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man dich aufstöbert, wo auch immer. Denn dein Versteck willst du mir sicher nicht offenbaren, oder? «
    Ich schüttele langsam den Kopf. Was für eine verfahrene Situation. Wenn ich Alice sage, wo ich mich aufhalte, könnte sie es jemandem verraten. Tue ich es nicht, hält sie mich für eine falsche Schlange, die den Namen Freundin nicht verdient. Ich ringe mit mir, doch schließlich sage ich: » Ich kann nicht, Alice. Bitte versteh das. Ich… «
    Alice steht auf, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und marschiert aus der Kirche.
    Ich starre ihr nach, halb beschämt, halb beleidigt. Dann packe ich seufzend den Beutel und mache mich auf den beschwerlichen Heimweg.
    In der Pension ist es still. Vermutlich ist Dona Eufrásia wieder auf dem Friedhof und Vovó beim Einkaufen. Adalberto, den üblen Voyeur, vermute ich vor dem Fenster irgendeines ahnungslosen Mädchens. Eigentlich müsste ich den Kerl der Polizei melden, aber um die Wache mache ich zurzeit einen großen Bogen.
    Auf meinem Zimmer schütte ich den Inhalt des Beutels auf mein Bett. Es ist fantastisch, an was Alice alles gedacht hat: Sie hat mir Unterwäsche, zwei schlichte Baumwollkleider, eine Bürste, ein Fläschchen Eau de Cologne, eine Schachtel Kekse, eine Flasche Cognac, ein paar Geldscheine und sogar drei Bücher eingepackt. Ich bin gerettet!
    Zunächst zähle ich das Geld. Es müsste, wenn ich bei meiner derzeitigen Sparsamkeit bleibe, für gute zwei Wochen reichen. Dann widme ich mich schmunzelnd den anderen Dingen. Was Alice beim spontanen Zusammensuchen dieser Sachen wohl durch den Kopf gegangen sein mag? Gut, die Bürste und das Eau de Cologne sind ihr vermutlich bei meinem Anblick– und meinem Geruch– als Erstes eingefallen. Wäsche und Kleider lagen ebenfalls auf der Hand. Aber wie zum Teufel konnte sie ahnen, wie öde meine Abende sind? Die Bücher werden mir die Zeit verkürzen und mich meine Einsamkeit weniger schmerzlich spüren lassen. Und wie kommt sie darauf, dass ich Weinbrand brauche? Sie weiß doch, dass ich keinen Alkohol mag. Vielleicht ist er mehr als Medizin gedacht, etwa zum Desinfizieren von Wunden.
    Meine ramponierten Füße fallen mir wieder ein. Daran könnte ich die heilende Wirkung des Cognacs ja schon einmal ausprobieren. Ich stelle die Waschschüssel auf den Boden vor dem Bett, gebe Wasser aus dem neuen Krug, den die gute Vovó in meine Kammer gestellt hat, sowie einen Schuss Eau de Cologne hinein und tauche mit einem wohligen Seufzer meine Füße ein. Zutiefst dankbar für Alices wunderbare Gaben und voller Bewunderung für ihre kluge Auswahl sitze ich auf dem Bett, nehme eines der Bücher zur Hand und stelle die Kekse neben mich. Ah, ist das herrlich! Fast fühle ich mich wieder wie ein vollständiger Mensch.
    Als meine Füße lange genug in dem duftenden Wasser gebadet haben, trockne ich sie vorsichtig ab. Anschließend betupfe ich das wunde Fleisch, das unter den geplatzten Blasen zum Vorschein gekommen ist, mit ein wenig Cognac. Es brennt höllisch, aber ich

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