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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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kauft, nein, der Bursche kann auch noch schreiben. Das scheint sein ganzes Weltbild durcheinanderzubringen. Aber er reicht mir den Stift und versucht dann über meine Schulter einen Blick auf das zu erhaschen, was ich schreibe. Ich beuge mich so über die Karte, dass er nichts lesen kann.
    Alice, kritzele ich, ich brauche Geld, Kleider, alles. Sag mir, wo ich dich treffen kann.
    Mehr passt nicht auf das kleine Stück Papier. Aber das Wesentliche ist gesagt.
    Zu Fuß mache ich mich auf den Weg zu Alices Haus, das in einem der vornehmen Wohngebiete und damit sehr weit von meinem jetzigen Standort entfernt liegt. Ich brauche fast eine Stunde, bis ich dort eintreffe. Ich bin verschwitzt, und an meinen Füßen bilden sich Blasen, weil ich so langes Gehen in viel zu großen Männersandalen nicht gewohnt bin. Der Blumenstrauß beginnt schon zu welken.
    Vor dem Haus bleibe ich kurz stehen und schaue hinauf zu Alices Fenster, in der Hoffnung, meine Freundin dort zu sehen. Oder wenigstens einen Hinweis darauf, dass sie zu Hause ist: ein geöffnetes Fenster, eine sich bewegende Gardine. Aber alles ist ruhig. Da ich nicht länger auf der Straße herumstehen kann, ohne Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, gehe ich schnell die vier Stufen zur Haustür hinauf.
    Energisch ziehe ich an der Glocke. Ein schwarzes Dienstmädchen öffnet die Tür.
    Â» Guten Tag. Blumen für Senhorita Alice Boyer Fagundes. « Ich versuche meine Stimme möglichst tief klingen zu lassen.
    Â» Gib her « , sagt sie und greift nach dem Strauß. Dass Haussklaven sich für etwas Besseres als Feldsklaven halten, war mir bekannt. Dass sie sich auch für feiner als arme Weiße halten, begreife ich erst jetzt.
    Â» Ich soll sie persönlich abgeben. Und auf eine Antwort warten. «
    Â» Moment. « Das Mädchen knallt mir die Tür vor der Nase zu. Wie demütigend das ist! Und wie oft ich selbst schon Leute auf diese herablassende Art behandelt habe. Ich schwöre mir, in Zukunft freundlicher zu sein.
    Als die Haustür sich wieder öffnet, steht Alice vor mir. Sie erkennt mich natürlich auf den ersten Blick und öffnet schon den Mund zu einem freudigen Ausruf, doch ich kann sie rechtzeitig davon abbringen.
    Â» Blumen für Sie, Senhorita « , sage ich. » Mit einer Karte. Der Absender möchte, dass ich auf eine Antwort warte. «
    Â» Ja, natürlich. Warte einen Augenblick, bitte. «
    Sie lässt die Tür einen Spalt offen stehen, sodass ich sehen kann, wie sie in der Eingangshalle meine Nachricht liest. Auf die Rückseite des Kärtchens schreibt sie ihre Antwort. Dann kommt sie wieder zur Tür und reicht mir die Notiz, zusammen mit einer Münze. » Das ist für dich. «
    Ich merke, dass Alice kurz davor ist, sich vor Lachen auszuschütten, also trete ich schnell den Rückzug an. Es besteht die Gefahr, dass ich ebenfalls laut lospruste.
    Â» Allerbesten Dank, Senhorita. « Ich lasse mein Trinkgeld in die Hosentasche gleiten, zwinkere Alice dabei verschwörerisch zu und drehe mich um.
    Im Laufschritt entferne ich mich von dem Haus. Erst zwei Straßenecken weiter halte ich an und lese, was Alice mir geschrieben hat.
    Gib mir eine halbe Stunde. Komm zur Kirche Santa Clara.
    Die Kirche, die sie meint, liegt genau in der anderen Richtung. Gemächlich schlendere ich dorthin, breitbeinig und mit den Händen in den Hosentaschen. So, hoffe ich, sehe ich auch wirklich aus wie ein trödelnder Botenjunge.
    In der Kirche ist es kühl und leer. Ich lasse mich auf eine Bank fallen, ziehe die Sandalen aus und stelle meine nackten Füße auf die Steinfliesen. Es ist die reinste Wohltat für meine geschundene, brennende Haut. Auch das Sitzen tut gut.
    Nach wenigen Minuten öffnet sich mit einem leisen Knarzen das Kirchenportal, aber es ist nur eine ältere Senhora, die eintritt. Sie setzt sich auf eine Bank auf der anderen Seite des Mittelgangs, schließt die Augen und faltet die Hände zum Gebet. Ihre Gesichtszüge entspannen sich merklich und ich empfinde eine Spur Neid auf die Festigkeit ihres Glaubens.
    Ich selbst zweifele in letzter Zeit meine Religiosität immer öfter an. Natürlich bin ich, wie fast alle Brasilianer, katholisch erzogen worden, und als kleines Mädchen haben mir die Rituale der Kirche sehr gefallen. Ich habe meiner Erstkommunion entgegengefiebert, die schönen Heiligenbildchen gesammelt und mit Inbrunst die

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