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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Kirchenlieder mitgesungen. Und ich liebe die prunkvolle Ausstattung mancher Kirchen, die wuchtigen Altäre, die goldenen Kanzeln und die prachtvoll geschnitzten Kreuze mit dem Heiland. Aber ich weiß nicht, wie ich mir Gott vorzustellen habe. Wenn ich über Leben und Tod, die Unendlichkeit und unsere eigene Sterblichkeit nachdenke, wird mir ganz anders. Es macht mir große Angst. Und Gebete spenden mir nicht den geringsten Trost. Wo also ist Gott? Vielleicht mache ich etwas falsch beim Beten. Sicher reicht es nicht, mit den anderen Kirchgängern im Chor zu sagen: » In Ewigkeit, Amen. « Nur: Wenn ich erst anfange, genau über diese Ewigkeit nachzudenken, überkommt mich regelrechte Verzweiflung.
    Diese Grübeleien kann ich zum Glück auf später verschieben, denn gerade geht das Portal wieder auf.
    Alice tritt ein. In der fast leeren Kirche klackern ihre Absätze auf dem Steinboden unnatürlich laut. Und tatsächlich, die gläubige Frau hebt den Kopf und bedenkt Alice mit einem strafenden Blick. Herrje, denke ich, kann Alice denn auch nicht ein bisschen weniger forsch auftreten? Es ist doch nicht nötig, dass sie alle Aufmerksamkeit auf uns lenkt. Wir bieten ohnehin schon genug Anlass für Spekulationen. Welches anständige reiche Mädchen trifft sich denn mit einem armen Schlucker, noch dazu am helllichten Tag in einer Kirche?
    Sie setzt sich neben mich und kichert leise. » Du hast Nerven, Isabel! «
    Â» Ja, hm… « Bevor ich in Worte fassen kann, dass ich nicht halb so kaltblütig bin, wie sie zu denken scheint, quasselt sie schon weiter.
    Â» Was ist passiert? Warum bist du abgehauen? Alle Welt sucht nach dir und deine Eltern sind völlig aus dem Häuschen. Sie sind krank vor Sorge. Sie glauben, du seist entführt oder Opfer eines anderen Verbrechens geworden. Sie denken, du bist tot! Warum hast du nicht eine Nachricht hinterlassen? Es hätte doch gereicht, zu schreiben: › Ich gehe fort. Sucht nicht nach mir ‹ oder etwas in der Art. Wenigstens mir hättest du doch eine Silbe sagen können, oder? «
    Â» Es ist eine längere Geschichte, aber ich… «
    Alice fällt mir ins Wort. » Und wie du aussiehst. Braun wie ein Feldsklave und genauso ausgemergelt, strohiges Haar… Himmelherrgott noch mal, Isabel! Wie kannst du nur so herumlaufen? «
    Â» Warum erkundigst du dich nicht einfach mal, ob es mir gut geht? « , frage ich bissig zurück. » Das tut es nämlich nicht. « Ich schlucke und spüre die Tränen aufwallen.
    Â» Aber wie… «
    Â» Alice, jetzt lass mich doch bitte einmal ausreden. « Mein eigener strenger Ton hilft mir, meine überflutenden Augen und mein zitterndes Kinn unter Kontrolle zu bringen. Wenn ich alles der Reihe nach erzähle, so sachlich wie möglich, kann ich einen Weinkrampf vielleicht noch verhindern. » Also: Ich habe am Abend meiner festa ein Gespräch zwischen meinen Eltern belauscht. Sie wollen mich einem ekelhaften alten Mann zur Frau geben, und das schon bald. Sie sind nämlich pleite, und dieser alte Lüstling ist reich. «
    Alice, rufe ich mir in Erinnerung, muss noch immer glauben, ich sei ganz vernarrt in Dom Fernando. Ich muss aufpassen, dass mir sein Name nicht herausrutscht. » In dem Moment war ich so entsetzt, dass mir eine Flucht als der einzige Ausweg erschien. Seitdem lebe ich mehr schlecht als recht von ein paar Mil-Réis, die ich aus der Börse meines Onkels genommen habe. Aber so schlimm es auch ist: Ich gehe nicht zurück! «
    Ich bin nicht ganz aufrichtig Alice gegenüber. Ein weiterer Grund für mein unüberlegtes Davonlaufen war natürlich auch mein Kummer über Gustavos Absage. Auch davon kann ich Alice jetzt nichts erzählen. Nun, da ich mein unerklärliches Handeln in Worte kleiden muss, komme ich mir plötzlich unglaublich dumm vor. Wie lange will ich noch so weitermachen? Irgendwann muss ich mich den Problemen stellen.
    Â» Aber du kannst doch nicht ewig davonrennen. « Damit spricht Alice aus, was mir selbst gerade durch den Kopf geht.
    Â» Heißt das, du willst mir nicht helfen? « , fahre ich sie an.
    Â» Doch, selbstverständlich helfe ich dir. Ich bezweifle nur, dass es eine echte Hilfe ist, wenn ich dir mit Geld, Kleidern und Nahrung unter die Arme greife. Früher oder später musst du nach Hause. «
    Â» Du verstehst gar nichts! « , blaffe ich sie an. Ich verstehe ja

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