Januarfluss
Augenbrauen. Wenn ich schon keine passenden Worte finde, soll wenigstens meine Mimik ausdrücken, welche Verachtung ich für Diebe wie ihn empfinde. Aber er sieht mein Gesicht gar nicht an, denn er ist bereits losgestapft.
Während mein Geist noch unschlüssig ist, ob ich ihm folgen soll, sind meine FüÃe bereits in Bewegung. Ich trotte hinter ihm her, schwer atmend, denn die Gasse windet sich einen steilen Hügel hinauf. Je höher wir kommen, desto schäbiger werden die Häuser und desto mehr Unrat liegt herum. Ein trübes, stinkendes Rinnsal flieÃt in der Mitte der StraÃe den Berg hinab. Ein paar Menschen, armselig gekleidet, lungern vor den Hauseingängen herum, doch es sind vorwiegend Kinder, die sich drauÃen aufhalten. Kein Wunder, die Sonne steht an ihrem höchsten Punkt, und der Mittagshitze will sich kein Erwachsener aussetzen. Es muss an die 40Grad heià sein.
Sämtliche Kinder nehmen ReiÃaus, als wir vorbeikommen und mein selbst ernannter Führer sie mit einem Handwedeln fortscheucht wie ein paar lästige Fliegen. Der Bursche muss ein ziemlich gefährlicher Geselle sein, wenn alle so spuren. Meine Güte, wohin verschleppt er mich nur? Was hat er mit mir vor?
Diese Frage klärt sich nur wenige Minuten später. Wir sind vor einem zweigeschossigen Haus angelangt, das noch aus der Kolonialzeit stammt. Da Brasilien seit 1822 unabhängig vom einstigen Mutterland Portugal ist, bedeutet das, dass dieses Haus mindestens sechsundsechzig Jahre alt ist. Durch das feuchte, tropische Klima, Termiten sowie die salzige Seeluft verrottet hierzulande alles sehr schnell, wenn man es nicht sorgfältig instand hält. An diesem Haus hier jedoch hat seit der Kolonialzeit niemand mehr irgendetwas ausgebessert, renoviert oder angestrichen.
Von der Haustür und den Fensterläden blättert der hellgrüne Lack ab, der Verputz bröckelt, aus den Treppenstufen zum Eingang wuchert Unkraut.
» Dona Ana? « , ruft der Bursche in den Hausflur hinein, den er einfach so, ohne zuvor anzuklopfen, betreten hat.
» Ich komme schon, mein Junge « , höre ich eine Stimme, die dieser Dona Ana gehören muss.
» Ein neuer Gast für Sie « , sagt er, diesmal in normaler Zimmerlautstärke.
» Ah, wunderbar! « , freut sich die Mulattin, die in diesem Moment aus dem hinteren Teil des Hauses kommt. Sie wischt sich ihre Hände an der Schürze ab, allerdings nicht, um mich mit Handschlag zu begrüÃen.
Die Frau betrachtet mich von Kopf bis FuÃ, schüttelt den Kopf und wendet sich an den Jungen. » Bist du verrückt geworden? So war das nicht⦠«
» Tja « , fällt er ihr ins Wort. » Die genauen Umstände unseres Kennenlernens « , hier weist er auf mich, » kann ich Ihnen später erklären. Zunächst sollten Sie der Senhorita ihr Zimmer zeigen. Es wird ihr bestimmt gefallen, und ich bin sicher, dass Sie sich auf einen Preis einigen können. «
Warum redet er plötzlich so gestelzt, so gekünstelt? Irgendetwas stimmt hier nicht.
Der Bursche lässt meinen Beutel auf die Erde fallen und wendet sich nun an mich: » So, da wären wir. Die Senhorita samt kostbarem Gepäck in Sicherheit. Stets zu Diensten, meine Teuerste. « Sehe ich da ein belustigtes Glitzern in seinen Bernsteinaugen? Was soll das alles?
Bevor ich mich über den sonderbaren Wandel wundern kann, der sich in dem Burschen vollzogen hat, ist er bereits verschwunden. Genauso lautlos, wie er sich vorhin angeschlichen hat, hat er nun Dona Anas Gästehaus verlassen, kaum dass ich einmal den Blick abgewandt habe.
» Leise und geschmeidig wie eine Katze, was? « , sagt Dona Ana zu mir, als handele es sich bei dem Burschen um einen gemeinsamen Freund, um dessen Katzenhaftigkeit wir beide schon lange wissen. » So, dann wollen wir mal. «
Sie erklärt mir, genau wie vor wenigen Tagen noch Dona Eufrásia, wie hier alles vonstattengeht, nennt mir den Preis und führt mich in die Kammer, die sie mir zugedacht hat. Ich bin noch immer so durcheinander von dem rätselhaften Benehmen des Jungen, den ich erst für einen Dieb halten musste, dann für einen Entführer und schlieÃlich für meinen Retter, dass ich zu allem, was die Zimmerwirtin herunterrasselt, nicke. Dabei dringt nur wenig davon in mein Bewusstsein. Ich höre ihre Stimme, ich kenne die Worte, doch ich kann sie nicht mit Sinn füllen. Ich fühle
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