Januarfluss
nachdenken, was das für eine Flüssigkeit ist, aber eine Regenwasserpfütze kann es nicht sein, da es schon länger nicht mehr ergiebig geregnet hat. Rasch hebe ich den Beutel wieder hoch und richte nun auch meinen Oberkörper wieder auf. Erstaunt blicke ich mich um.
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich mich in einem Teil der Stadt befinde, den ich nie zuvor betreten habe. Die Luft riecht salzig und fischig, ich muss in der Nähe des Hafens gelandet sein. Es ist ein noch ärmlicheres Viertel als jenes, dem ich gerade entflohen bin. Hier sieht man weder ordentlich gekleidete Menschen noch Pferdedroschken. Stattdessen rumpelt ein klappriger Marktkarren vorbei, gezogen von einem zahnlosen Alten und beladen mit ein paar kümmerlichen Obstkisten. Ein ganzer Schwarm Fruchtfliegen schwirrt um die angestoÃenen Früchte herum. Trotzdem läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Was gäbe ich dafür, eine dieser matschigen Mangos essen, mich an ihrem süÃen Saft erfrischen zu dürfen. Ob ich den alten Mann um eine Frucht bitten soll?
Noch bevor ich mich dazu aufgerafft habe, den Marktverkäufer anzusprechen, ist der Mann vorübergezogen, und in der Gasse kehrt wieder Stille ein. Merkwürdig. Es ist kaum jemand zu sehen, weder vor den schäbigen Hütten noch in den glaslosen Fensteröffnungen. Einzig zwei üble Gestalten lungern in einem Hauseingang herum und starren mich feindselig an.
In dem Moment, als sie betont langsam auf mich zugeschlendert kommen, weià ich, dass ich in Gefahr bin. Es sind zwei junge Burschen, die sicher schneller sind als ich. Und eines weià ich plötzlich mit absoluter Gewissheit: Da ich nicht vor ihnen fliehen kann, muss ich auf sie zulaufen. Auch wenn alles in mir sich dagegen sträubt.
Vor Angst schlägt mein Herz so laut und schnell, dass ich fürchte, sie könnten es hüpfen sehen. Aber ich darf mir nichts anmerken lassen. Es ist wie bei einer Meute wilder Hunde: Wenn sie spüren, dass man ängstlich und schwach ist, greifen sie einen an. Wenn man ihnen dagegen Kommandos entgegenschleudert und sich nicht wie ein Opfer benimmt, hauen sie ab.
» Macht, dass ihr wegkommt. Die Polizei ist hinter mir her « , rufe ich den beiden Kerlen zu. Ich bin froh, dass meine Stimme nicht zittert und dadurch meine Unsicherheit verrät.
Sie zögern. Wahrscheinlich haben die beiden noch mehr Angst vor der Polizei als ich.
» Wie ihr wollt « , sage ich mit arrogant hochgezogenen Augenbrauen. » Dann bleibt halt hier. Aber tut mir den Gefallen und sagt den Polizisten nicht, dass ihr mich gesehen habt, in Ordnung? « Damit drehe ich mich um und laufe los, in eine andere düstere Gasse hinein.
Kurz darauf bleibe ich stehen und lausche auf Schritte. Mein eigener Atem geht so stoÃweise, vor Furcht und von der Anstrengung des Laufens, dass ich vermutlich noch mehrere Häuserblocks weiter zu hören bin. Je verzweifelter ich versuche, leiser zu atmen, desto schwerer fällt es mir und desto mehr falle ich in eine Art Japsen. So verharre ich eine Minute oder auch zwei, bis ich sicher bin, dass die Burschen mich nicht verfolgen. Meine Erleichterung ist enorm, währt jedoch nicht lange. Denn vollkommen lautlos hat sich ein anderer Junge an mich herangeschlichen.
Ich zucke vor Schreck zusammen, als er mich von hinten anspricht: » Nicht schlecht, für eine wie dich. «
Und dann tue ich etwas, das ich noch nie getan habe, denn ich bin kein jähzorniger oder gewalttätiger Mensch: Ich verpasse ihm eine schallende Ohrfeige. Ob es der Schrecken war oder das Gefühl der Ausweglosigkeit, weià ich nicht. Vielleicht war es auch die Häufung an unguten Erlebnissen: Erst Dona Eufrásias hinterlistige Falle und meine kopflose Flucht, dann die beiden Gauner und zu guter Letzt, als ich mich schon in Sicherheit wähnte, das Erscheinen dieses Burschen hier, der zweifelsohne üble Absichten verfolgtâ es war ein bisschen viel auf einmal.
Ich habe über mein Tun gar nicht nachgedacht, sondern einfach aus dem Bauch heraus gehandelt. Allerdings muss ich feststellen, dass die Backpfeife mir gutgetan hat, als habe sich in der körperlichen Aggression der Knoten aus Wut und Angst in meinem Innern ein wenig entwirrt. Vielleicht sollte ich öfter einmal jemanden ohrfeigen.
Unfreiwillig wandern meine Gedanken wieder zu Dona Eufrásia, die ich ohnmächtig geschlagen habe. Und ich soll kein gewalttätiger
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