Januarfluss
nebenan beim Liebesspiel zuzuhören oder dem handgreiflichen Ehekrach der Moreiras von gegenüber. Zum Glück schlägt nicht nur er seine Frau, sondern auch sie ihn. Der Hund wird von beiden verprügelt, während die sieben Kinder sich den Handgreiflichkeiten durch Herumtreiberei entziehen. Nette Familie⦠» WeiÃes Pack « würde Maria sie nennen.
Dabei sind sie nicht mal richtig weiÃ, jedenfalls nicht im direkten Vergleich zu diesen bleichen Europäern. Verglichen mit meiner Zimmerwirtin, Dona Ana, sind sie es allerdings. Es ist sehr wichtig für die Hierarchie innerhalb dieses Viertels, welche Hautfarbe jemand hat. Besonders die Dunkelhäutigen untereinander machen ein Riesentheater um die exakte Brauntönung ihrer Haut, sodass sich eine Person mit mitteldunkler Haut für etwas Besseres hält als eine Person mit tiefdunkler Haut. Es gibt unzählige Vokabeln, die alle diese feinen Braunschattierungen bezeichnen, was im Grunde albern ist. In den Augen der WeiÃen sind und bleiben sie Schwarze, solange sie krauses schwarzes Haar und sehr volle Lippen haben.
Beides hatte der Junge, der mich hierhergebracht hat, nicht. Er hatte hellbraune Haut, glattes Haar wie ein Indio, dazu honigfarbene Augen und die Gesichtszüge eines WeiÃen, also mit ausgeprägter Nase und relativ schmalen Lippen. Er wird wohl, wie einige der Menschen hier, ein so undurchsichtiges Sammelsurium an Vorfahren unterschiedlicher Hautfarben haben, dass man leicht ins Schwanken gerät. WeiÃ? Schwarz? Irgendwie keines von beiden.
Eines von Senhora Moreiras Kindern hat blaue Augen in einem dunklen Gesicht, und in den wenigen Tagen hier im Viertel habe ich schon aufgeschnappt, dass da wohl nicht Senhor Moreira der Vater ist. Alle lachen darüber, aber ich finde solche Geschichten obszön. Es ist nichts, was man so offen herumerzählen sollte. Das Kind wird von allen gehänselt, obwohl es doch gar nichts dafür kann. Nebenbei bemerkt ist es ein auÃergewöhnlich hübsches Kind.
Um sieben Uhr höre ich die Glocke, die zum Essen läutet. Warum Dona Ana überhaupt läutet, ist mir unbegreiflich. Es würde völlig ausreichen, wenn sie in normaler Lautstärke alle zu Tisch bitten würdeâ man würde es im ganzen Haus hören. AuÃer mir wohnt noch ein weiterer Gast in der Pension, falls man diese Absteige denn so nennen kann, eine gewisse Senhorita Beatriz. Ich bin froh, dass ich nicht die einzige alleinstehende junge Frau auf der Welt bin, die unter solch unwürdigen Bedingungen hausen muss.
Beatriz ist neunzehn Jahre alt und verdingt sich als Hilfskrankenschwester. Sie kommt aus dem Norden, aus Belém, und wollte fort von dort, nachdem ihre ganze Familie dem Gelbfieber erlegen war. Sie hat ein nettes, rundes Gesicht, das hübsch sein könnte, wäre es nicht von Aknenarben entstellt. Sie macht einen zufriedenen Eindruck, was mich mehr als wundert. Wenn meine ganze Familie gestorben wäre und ich den ganzen Tag Laken wechseln, Bettpfannen leeren oder eitrige Verbände waschen müsste, wäre ich ganz sicher nicht so gelassen wie sie.
» Oh, es gibt rabada, köstlich! « , sagt sie, kaum dass Dona Ana die zerbeulten Blechtöpfe auf den Tisch gestellt hat. Schüsseln gibt es in diesem Haushalt nicht.
Rabada ist ein typisches Armeleuteessen, ein Ragout aus Ochsenschwanzfleisch, an dem mir herzlich wenig liegt. Es ist billig und zäh. Dazu gibt es Reis und schwarze Bohnen, so wie jeden Abend.
» Greifen Sie zu, Senhorita Florinda « , fordert die junge Frau mich auf und reicht mir den Topf. Warum sie darauf besteht, dass wir uns siezen, ist mir schleierhaft. So groà ist der Altersunterschied zwischen uns ja nicht, und wie ich bemerkt habe, duzt man sich unter den weniger begüterten Leuten sehr schnell.
Florinda ist mein neuer Name. Bestimmt hat Dona Eufrásia überall herumerzählt, dass ich mich Iolanda genannt habe, sodass mir ein neuerlicher Namenswechsel angebracht erschien. Jedes Mal, wenn ich jemanden Florinda sagen höre, denke ich an Gustavo, den Bruder meiner Freundin Florinda, deren Namen ich entliehen habe. Und beim Gedanken an Gustavo verspüre ich zumindest einen Hauch von Trost.
Immer häufiger spiele ich mit dem Gedanken, ihn aufzusuchen und ihn um Hilfe zu bitten. Ich bin mir sicher, dass er sie mir nicht verweigern würde. Auch einen Verrat kann ich mir von ihm nicht vorstellen. Er ist reich,
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