Januarfluss
sehen hier besser und ordentlicher aus als die Leute in meiner neuen Nachbarschaft.
Die herrschaftlichen Gebäude sind alle in parkähnliche Gartenanlagen eingebettet, sodass man vor lauter Grün das Gefühl hat, man sei auf dem Lande und nicht mitten in der gröÃten und turbulentesten Stadt Südamerikas. Es hat in der Nacht geregnet, alles dampft und glitzert in der Morgensonne. Ein wunderbarer Duft steigt mir in die Nase, ein Duft von Natur und von Frieden, der mich wehmütig macht. Er erinnert mich an Ãguas Calmas. Das Heimweh überfällt mich so unvorbereitet, dass ich kurz davor bin, in Tränen auszubrechen.
Was mache ich hier überhaupt? Warum bin ich nicht zu Hause, bei meinen Eltern, und genieÃe die Sommerferien? Was war doch gleich der Grund für mein AusreiÃen? Dass ich einen Mann heiraten soll, den ich nicht liebe? Lachhaft! Früher oder später hätte es mich sowieso getroffen. Die Liebe, so sagt man uns Mädchen, sei für eine EheschlieÃung völlig unerheblich. Die meisten von uns werden mit Männern verheiratet, die Eigenschaften mitbringen, wie sie für eine gute, dauerhafte und glückliche Ehe von Vorteil sein sollen: Geld und Stammbaum. Im Idealfall passen vielleicht auch die Wesenszüge des zukünftigen Gemahls zu denen der jungen Frau, und wünschenswert ist auÃerdem, dass Braut und Bräutigam vom Alter her nicht gar zu weit auseinanderliegen. Dass man seine 17-jährige Tochter einem Greis zur Frau gibt, passiert daher nur äuÃerst selten. Da müsste das Mädchen schon missgebildet sein oder der alte Mann unfassbar mächtig.
Insofern ist die Wahl meiner Eltern nachvollziehbar. Dom Fernando muss aus ihrer Sicht der perfekte Ehemann für mich sein: Er ist sehr wohlhabend, kommt aus einer der besten Familien Brasiliens, sieht blendend aus und ist in ihren Augen jung. Was will man mehr? Die Liebe, so hat man mir oft genug erzählt, kommt im Laufe der Zeit, man dürfe sie nicht verwechseln mit der Verliebtheit. Letztere sei eine vorübergehende Verirrung und Verwirrung der Sinne, fast eine Krankheit. Leidenschaft, Euphorie, Glücksgefühleâ das alles habe keinen Bestand und sei damit auch keine gute Grundlage für eine Verbindung, die doch auf die Dauer eines ganzen Lebens angelegt sei.
Fast bin ich so weit, es zu glauben. Vielleicht haben meine Eltern und all die anderen Alten, die uns junge Leute mit solchen Lebensweisheiten quälen, recht. Nur: Auch dann darf man doch die Anziehung zwischen zwei Menschen nicht auÃer Acht lassen. In meinem Fall gäbe es ja durchaus andere junge Kavaliere, die ideale Schwiegersöhne wären und die mir gefallen. Männer, die alle Eigenschaften besitzen, wie Eltern sie sich wünschen, die zugleich aber auch das Potenzial besitzen, mich für sich einzunehmen. Gustavo wäre zum Beispiel so jemand.
Unentschlossen stehe ich vor dem Torgitter zu Haus Nummer44. Es ist ein prachtvolles Stadtpalais in Rosa und WeiÃ. Ein älterer Schwarzer döst in seinem Portiershäuschen vor sich hin. Als ich mich laut räuspere, setzt er sich mit einem Ruck aufrecht hin und bedenkt mich mit einem mürrischen, fragenden Blick. Das verheiÃt nichts Gutes. Sähe ich nämlich aus, wie ich noch vor einer Woche auszusehen pflegteâ alabasterweiÃe Haut, edle Garderobe, komplizierte Frisurâ und würde ich so auftreten, wie ich es noch vor einer Woche getan hätte, also in Begleitung meiner schwarzen Dienerin und mit blasierter Miene, dann wäre der Mann diensteifrig aufgestanden und hätte sofort das Tor für mich geöffnet.
» Sie wünschen, Senhorita? « , fragt er mich. Sein Ton hat etwas Zögerliches, Abweisendes.
Ich kann ihm seine Zweifel nicht verdenken. Vor sich hat er eine weiÃe Senhorita, die in keines der Muster passt, die er kennt: Ich sehe weder aus wie eine feine Dame noch wie » weiÃes Pack « . Die bürgerliche Mittelschicht, der ich angehören könnte, ist sehr klein. Dazu gehören die Gattinnen und Töchter von mittleren Beamten oder von mäÃig erfolgreichen Kaufleuten genau wie etwa Klavierlehrerinnen oder Gouvernanten.
» Ich wünsche den jungen Herrn Gustavo zu sprechen. « Puh, nun ist es heraus. Ich verstehe selbst nicht, warum ich so ängstlich bin. Fast scheint es so, als habe des Portiers Wahrnehmung meiner Person auf meine eigene Selbsteinschätzung abgefärbt.
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