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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Wie andere einen sehen, so benimmt man sich dann auch. Oder besser: Da er mich behandelt wie eine Bittstellerin, fühle ich mich auch wie eine. Ein sehr seltsames Phänomen.
    Â» Und Sie sind…? «
    Â» Senhorita Isabel de Oliveira « , sage ich mit dem größtmöglichen Stolz in meiner Stimme. Auch meinen Rücken habe ich nun durchgedrückt, damit mir meine Pose zu mehr Achtung verhilft. » Ich bin « , ergänze ich, » eine Klassenkameradin von Senhorita Florinda. «
    Â» Ah, ähm, sehr wohl, Senhorita Isabel. Ich verständige den mordomo. Bitte treten Sie ein und folgen Sie mir. «
    Er öffnet das Tor, verschließt es hinter mir wieder sorgfältig und schreitet dann über die weiße Kiesauffahrt vor mir her Richtung Haus. Das Ganze erscheint mir übertrieben. Bei uns auf Águas Calmas gibt es kein derartiges Tor, Besucher kommen direkt an die Haustür beziehungsweise, wenn es sich um Lieferanten handelt, an die Hintertür. Aber wahrscheinlich sind in Rio de Janeiro solche Sicherheitsmaßnahmen erforderlich.
    Wir erreichen die Haustür, wo uns ein Dienstmädchen öffnet. Dieses muss nun erst den mordomo rufen, andernorts auch als Butler bezeichnet, dem mich der Portier schließlich überantwortet.
    Es handelt sich um einen gut aussehenden Mulatten mittleren Alters, der sehr schlank ist und eine unerträglich arrogante Miene zur Schau trägt. Vermutlich ist ihm seine Position zu Kopf gestiegen. Der mordomo ist nämlich so etwas wie der Chef des Personals, womit er viel Einfluss und Macht hat. Ein Wort von ihm zur Herrschaft und die Zofe wird zur Küchenmagd degradiert.
    Â» Nun, Senhorita Isabel « , sagt der Mann mit näselnder Stimme, » der junge Herr ist nicht zu sprechen. Darf ich ihm eine Nachricht von Ihnen hinterlassen? «
    Ich habe mir für diesen Besuch extra einen Samstag ausgesucht, weil Gustavo dann wohl kaum in der väterlichen Firma sein dürfte. Außerdem habe ich die Uhrzeit so gewählt, dass er nicht mehr im Bett liegen sollte. Es ist elf Uhr am Vormittag. Ich bin verunsichert. Ob Gustavo schon unterwegs ist? Oder schläft er noch? Vielleicht weilt er auch gar nicht in der Stadt, sondern ist, wie so viele meiner Bekannten, in die Berge nach Petrópolis gefahren. Nein, das kann nicht sein, denn in diesem Fall hätte mich der Portier schon am Tor abgewimmelt.
    Â» Nein. Ich muss ihn persönlich sprechen, und zwar in einer etwas, ähm, pikanten Angelegenheit. «
    Â» Oh. « In gespieltem Entsetzen zieht der Butler die Augenbrauen hoch. » In diesem Fall… ich werde sehen, was ich für Sie tun kann. Wenn Sie sich bitte einen Moment gedulden würden? «
    Eine echte Sinhazinha hätte der Mann niemals so in der Halle stehen lassen. Er hätte sie freundlich gebeten, Platz zu nehmen, und sie gefragt, ob sie eine Erfrischung wünsche. Das beweist also, dass ich in seinen Augen keine Dame bin– und Dienstboten seines Ranges haben ein außergewöhnlich feines Gespür für solche Dinge. Es belustigt und erschüttert mich gleichermaßen. Andererseits bin ich auch ein bisschen stolz auf meinen Erfindungsreichtum und meine Menschenkenntnis: Die » pikante Angelegenheit « ist etwas, das einem immer die Türen öffnet. Niemand möchte, dass über irgendwelche privaten Geheimnisse an der Haustür gesprochen wird, wo das stets lauschende Personal alles hört.
    Der mordomo muss denken, ich sei eine Verflossene von Gustavo, die dieser vielleicht in Schwierigkeiten gebracht hat. Ach, wenn es doch nur so wäre! Erschrocken über meine eigene verlotterte Moral bin ich ganz kurz versucht, die Hand vor den Mund zu schlagen. Als ob irgendjemand hier meine Gedanken hören könnte. Ja, denke ich, lieber würde ich ein Kind von Gustavo erwarten, als mit den Nöten zu kämpfen, die meine blöde Flucht mir beschert hat. Dann müsste er mich heiraten und alles würde gut werden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann…
    In diesem Moment erblicke ich Gustavo. Er steht oben an der Treppe, reibt sich die Augen und starrt mich missmutig an. Er trägt einen Morgenmantel, sein Haar ist verwuschelt– und verschlafen wie er ist, sieht er einfach anbetungswürdig aus.
    Sofort finde ich an meiner eigenen Aufmachung alle möglichen Mängel. Obwohl ich im Gegensatz zu Gustavo gewaschen, gekämmt und ordentlich angezogen bin, finde ich mich

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