Januarfluss
die Belohnung würde für ihn keinen groÃen Anreiz darstellen. Ja, beschlieÃe ich, demnächst werde ich Gustavo einen kleinen Besuch abstatten. Die Vorfreude auf ein Wiedersehen lässt mich innerlich geradezu erbeben. Ich male mir aus, wie er mir bei der Flucht nach Europa hilft, wie er mit einem späteren Schiff nachkommt, wie wir in Paris ein mondänes Leben führen⦠Halt!, rufe ich mich zur Ordnung. Ich kann es mir nicht erlauben, mich von meinen exotischen Tagträumen allzu weit weg entführen zu lassen. Eins nach dem anderen.
» Sie sind heute nicht ganz bei der Sache, Senhorita Florinda « , bemerkt Dona Ana ganz richtig.
» Oh, ich⦠Verzeihung. Ja, ich war in Gedanken tatsächlich ganz woanders. «
» An einem sehr schönen Ort, zweifellos « , sagt Beatriz.
» Ja. «
» Erzählen Sie uns davon, Senhorita Florinda « , fordert Dona Ana mich auf. Sie hat kein Problem damit, sich mit ihren zahlenden Gästen gemeinsam an den Tisch zu setzen und mit ihnen zu essen, was sie mir sympathisch macht. Allerdings scheint sie mit mir ein Problem zu haben. Mit meinen Fragen über den Burschen, der mich zu ihr geführt hat. Ich habe schon verschiedentlich versucht, aus ihr herauszubringen, wer er ist, aber sie hüllt sich in Schweigen. Er sei nichts weiter als » ein entfernter Bekannter « , beteuert sie.
» Oh, nein, es sind nur Hirngespinste « , wehre ich ihre Aufforderung ab. Das fehlte gerade noch, dass ich die beiden in meine geheimsten Träume und verrückten Pläne einweihe. Sie wissen ohnehin schon zu viel von mir.
Auf Dauer fällt es mir nämlich sehr schwer, meine Identität als Florinda, einem Arbeit suchenden Kindermädchen, glaubhaft zu vermitteln. Immer wieder kommt es vor, dass ich vergesse zu schauspielern, und dann muss ich mich den fragenden Blicken der beiden stellen. Oder sind es wissende Blicke?
Es sind immer nur Kleinigkeiten, die mich verraten. Mal rutscht mir ein französisches Wort heraus, wie es in der Sprechweise der gehobenen Gesellschaft gang und gäbe ist, etwa ein unschuldiges » merci « . Dann wieder verleihe ich gedankenlos meiner Sehnsucht nach gestärkter Bettwäsche oder regelmäÃigen Bädern Ausdruck, nach einem Luxus also, den die beiden nicht kennen.
Bisher ist es mir nach solchen Ausrutschern immer gelungen, mich herauszureden. Meist behaupte ich, im Haushalt einer erfundenen Dona Orlanda habe man mich so gut behandelt wie eine Tochter, aber seit Dona Orlandas Familie nach Portugal gezogen sei, habe mich das Glück verlassen.
» Ich verstehe immer noch nicht « , kommt jetzt Beatriz auf dieses Märchen zurück, » warum Sie nicht mit Dona Orlanda mitgegangen sind. Man hat Sie doch darum gebeten, oder nicht? «
» Lassen Sie sie doch, Senhorita Beatriz « , schaltet sich da die Zimmerwirtin ein. » Das hat sie uns doch schon alles berichtet. Sie wollte eben lieber hierbleiben. Es wird schon gute Gründe dafür geben, nicht wahr, Senhorita Florinda? «
» Ja « , sage ich und gebe meiner Miene einen verträumten Ausdruck. Wie ich es hasse, mich immer weiter in meinen Lügengebilden zu verstricken. Dabei fällt es mir nicht weiter schwer, so zu tun, als sei ich unsterblich verliebtâ ich muss nur an Gustavo denken.
Sein Bild entsteht vor meinem geistigen Auge: ein schöner junger Mann in tadelloser Garderobe, mit perfekten Manieren und mit modisch gestutztem Bart. Wie sehr ich den Anblick gepflegter, wohlhabender Menschen vermisse! Aber bald, bald werde ich Gustavo gegenüberstehen.
Es wird Zeit, dass ich mir Hilfe bei meinesgleichen hole und mich nicht länger unter Gesindel aufhalte, das meine Moral sinken lässt. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielt meine Lippen, als ich abermals bejahe: » Ja, es gibt wirklich gute Gründe dafür, hier in Rio zu sein. «
Einer davon ist Gustavo, aber das müssen die beiden ja nicht wissen.
11
Laranjeiras ist eine sehr vornehme Wohngegend. Die Princesa Isabel hat hier ein Stadtpalais, und gleich um die Ecke, in der Rua do Catete, bewohnt der Barão de Nova Friburgoâ ein Kaffeebaron wie mein Vaterâ einen Palast, der dem ihren ebenbürtig ist. Die StraÃen sind gesäumt von gepflegten Palmen, elegante Menschen flanieren über die befestigten Bürgersteige. Sogar die Dienstboten und Kindermädchen in ihren gestärkten weiÃen Uniformen
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