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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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bekommen habe ich ihn anschließend auch nicht, genauso wenig wie all die verkrusteten Teller, die sich in einer Zinkwanne stapeln. Auch meine Versuche, die Wohnung zu säubern, sind grandios gescheitert. Ich habe den Staub nur von einer Ecke in die andere gefegt, die Asche aus dem Küchenofen nur noch fester in den Boden eingerieben, und zum Wischen habe ich so viel Schmierseife verwendet, dass man rutschte und höllisch aufpassen musste, um nicht tödlich zu stürzen. Es war erschütternd festzustellen, dass ich nicht in der Lage bin, die einfachsten Arbeiten auszuführen. Ich bin sogar zu ungeschickt, um Wäsche zu waschen oder Schuhe zu polieren.
    Angélica hat mich mit Häme überschüttet und ich habe ihren Spott gesenkten Hauptes über mich ergehen lassen. Es stimmt ja. Ich kann überhaupt nichts Praktisches. Wie auch? Auf Águas Calmas haben wir für jede Aufgabe einen speziell geschulten Sklaven. Die Vorstellung, die Tochter des Hauses könne einen Topf Reis aufsetzen, ist in meiner Welt– in meiner ehemaligen Welt– geradezu lächerlich. Eine Sinhazinha, die den Boden wischt? Undenkbar. Isabel de Oliveira beim Ausfegen des Ofens? Grotesk. Und die Herrschaft, die sich als Schuhputzer versucht? Der Gedanke allein grenzt schon ans Umstürzlerische und ist genauso abwegig wie der an einen Schuhputzer, der sich im Herrenhaus ans Pianoforte setzt oder mit der Herrschaft an der Tafel speist.
    Angélicas Gesichtsausdruck ist unergründlich, als sie aufsteht und sich einen Schnaps eingießt.
    Â» Willst du auch eine pinga? « , fragt sie mich.
    Â» Was ist das? «
    Diesmal bekommt sie einen regelrechten Lachkrampf. Ich finde das nicht komisch. Woher soll ich ihre ungehobelte Sklavensprache denn können? Ich verstehe viele ihrer Wörter nicht, so wie sie zuweilen ihre Probleme mit meiner geschliffenen Ausdrucksweise hat. Sie kann doch nicht erwarten, dass ich innerhalb weniger Tage in ihrer Gesellschaft schon diesen Straßenjargon gelernt habe. Auch wenn ich bei ihr wohne und mich wie sie kleide, so bin ich doch noch immer Isabel de Oliveira, eine Senhorita aus bestem Hause.
    Â» Pinga ist Zuckerrohrschnaps, Schätzchen. Cachaça eben. Na ja, billiger Fusel eigentlich, aber er betäubt genauso gut wie all die vornehmen Weinbrände, die ihr Reichen euch genehmigt. «
    Â» Nein, danke, ich möchte keine pinga. «
    Â» Du hast es doch nicht mal probiert, wie kannst du da so hochnäsig ablehnen? «
    Â» Ich mag keinen Alkohol. Auch keine feinen Brände. In Ordnung? «
    Â» Ja, ja, schon gut. « Mit einem Schluck leert sie das kleine Glas, das sie sofort darauf wieder füllt. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich hemmungslos betrinkt. Ich habe das nun schon mehrfach beobachtet, immer mit einer Mischung aus Ekel und Mitleid. Wie kann sie sich nur so gehen lassen?
    Â» Angélica? «
    Â» Was? «
    Â» Angélica… «
    Â» Der Name gefällt dir, was? «
    Â» Ja, natürlich, aber ich wollte eigentlich… «
    Â» Es ist ein Künstlername. «
    Â» Wie? Du heißt gar nicht Angélica? «
    Wieder lacht sie ihr lautes, gleichzeitig ansteckendes und vulgäres Lachen. » Ha! Glaubst du wirklich, man würde eine Melkerin › die Engelsgleiche ‹ nennen? Was meinst du wohl, wie viel Fantasie unsere Eigentümer bei der Namenswahl walten lassen? Na, eigentlich müsstest du das doch wissen. Wie heißen denn eure Sklaven? Die Männer José, die Frauen Maria, oder? «
    Ich nicke, denn leider verhält es sich tatsächlich so, dass viele Sklaven gleichlautende Namen haben.
    Â» In Wahrheit heiße ich Maria, haha, ausgefallen, was? «
    Â» Es ist ein sehr schöner Name. «
    Â» Aber Angélica ist schöner. Für dich sollten wir uns auch was einfallen lassen. Isabel ist so… spießig. Wie wäre es mit Esmeralda? «
    Â» Auf keinen Fall! «
    Â» Oder etwas, das Französisch klingt, das würde doch zu dir passen. Alice zum Beispiel. «
    Â» Ich… Das geht nicht « , bringe ich stockend hervor.
    Dann werden meine Augen plötzlich feucht. An Alice habe ich seit Tagen nicht mehr gedacht und die Erinnerung an meine Freundin lässt mich plötzlich meine ganze verfahrene Situation, meine Einsamkeit und mein Unglück mit voller Wucht spüren. Wäre Alice nur hier! Mit ihr zusammen wäre das alles ein riesiger Spaß–

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