Januarfluss
ein herzliches, fröhliches Aussehen verleiht. Wie kann sie in Sekundenschnelle zwischen zwei so verschiedenen Gesichtern wechseln?
» Du bist süÃ, Isabel, wirklich « , grinst sie. » Ich kenne kein einziges schwarzes Mädchen von fünfzehn Jahren, das so prüde ist wie du. «
» Ich bin nicht prüde! « , wehre ich mich. » Es ist nur ein Thema, das zu privat ist, um es in aller Ãffentlichkeit zu bereden. «
» Wir sind aber nicht in aller Ãffentlichkeit. Wir sind unter uns. Du kannst mich alles über Männer fragen, was du willst. Deine feine Familie wird nie davon erfahren. «
Ich möchte das nicht. Ich will nicht, dass Angélica mit ihren schrecklichen Erfahrungen die Liebe in den Schmutz zieht, dass sie mir mit unappetitlichen Details mein Idealbild von einer Verbindung zwischen Mann und Frau zerstört. Ihre Erfahrungen mit Männern beschränken sich auf das Körperliche, während bei meinen Vorstellungen die Gefühle im Vordergrund stehen.
» Erzähl mir lieber noch ein wenig über Lu « , fordere ich sie auf. » Ich werde so gar nicht schlau aus ihm. «
» Bist wohl in ihn verknallt, oder was? «
» Ich? Um Gottes willen, nein! «
» Was heiÃt hier ⺠um Gottes willen â¹ ? Ist er dir zu sehr Neger, oder was? Ist er dir nicht vornehm genug? «
» Nein, du verstehst das völlig falsch. Ich finde ihn⦠interessant. Im Kern scheint er einen guten Charakter zu haben, aber er ist nun einmal ein Dieb und Strolch. «
Angélica lacht darüber schallend. Sie klopft sich auf die kräftigen Schenkel vor Begeisterung, und ich muss sie wohl ein wenig konsterniert ansehen, denn nun macht sie sich auch noch über meine Miene lustig.
» Du siehst aus, als hättest du in ein Stück Seife gebissen « , bemerkt sie amüsiert.
Es gefällt mir nicht, dass sie mich immerzu aufzieht. Obwohl ich mich ihr im Grunde überlegen fühleâ weil ich klüger, besser erzogen und, na ja, weià binâ, gelingt es ihr häufig, mich das Gegenteil denken zu lassen. Es ist schwer zu erklären. Dadurch, dass sie drei Jahre älter ist und viel mehr Erfahrung hat als ich, sich allein durchschlägt und unabhängig ist, hat sie mir etwas voraus. Ich bewundere sie, während ich sie gleichzeitig ein bisschen verachte. Klingt das logisch? Nein. Aber so ist es nun einmal.
» Es ist nicht so, wie du denkst. « Ich muss ihr erklären, dass ich nicht deswegen nicht in Lu verliebt bin, weil er dunkelhäutig ist, sondern weil meine ganze Liebe sich auf einen anderen konzentriert. » Ich finde Lu nett, wirklich, und er sieht ja sogar ganz gut aus. « Das ist stark untertrieben, denn er ist zweifellos ein schöner junger Mann. Man sieht es nur nicht auf den ersten Blick, weil er so zerlumpt und struppig daherkommt. » Aber ich liebe einen anderen. « Als ich Angélicas skeptischen Blick bemerke, ergänze ich: » Wir wollen uns demnächst verloben. «
Sie geht darauf gar nicht ein. » Lu sieht nicht ⺠ganz gut ⹠aus. Er sieht umwerfend aus. Aber wahrscheinlich hast du ihn dir noch nie so genau angeschaut. Männer, die keine Lackschuhe, gestärkte Hemden und Zylinder tragen, kommen für dich wahrscheinlich gar nicht infrage. «
Sie ist wirklich in ihn verliebt, und ich gönne ihr von ganzem Herzen, dass er ihre Gefühle erwidert. Ich würde ihr gern noch deutlicher zu verstehen geben, dass ich nicht das geringste Interesse an Lu habe, denn mir scheint, sie empfindet mich als Rivalin. Aber wenn ich etwas Gutes über Lu sage, ist sie eifersüchtig, und wenn ich etwas an ihm kritisiere, wird sie ärgerlich. Wie ich es auch mache, ist es falsch.
» Ich mag nicht mit dir darüber streiten « , sage ich kühl. » Manchmal lässt es sich eben einfach nicht erklären, warum man Zuneigung zu jemandem empfindet oder nicht. «
» Du wärst sowieso nicht die Richtige für Lu. Du kannst ja nicht mal kochen oder sonst irgendetwas Praktisches tun. «
Damit hat sie allerdings recht. Weil die Tage in dieser fürchterlichen Wohnung mir manchmal lang werden, habe ich versucht, mich nützlich zu machen. Zu tun gäbe es wahrlich genug, denn Angélica hat wenig Zeit und Sinn für den Haushalt. Aber ich habe kläglich versagt. Der erste Topf Reis, den ich hier aufgesetzt habe, ist erst übergelaufen, dann angebrannt. Sauber
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