Januarfluss
Gesicht meiner Mutter vor mir, die, wenn sie wüsste, wo ich gelandet bin, in Ohnmacht fallen würde. Zum anderen erwische ich Angélica manchmal in Momenten, in denen sie sich unbeobachtet glaubt, und dann erkenne ich ihr Unglück, über das sie mit ihrem groÃen lachenden Mund so gern hinwegtäuscht.
Wenn sie am Tisch sitzt, mit hängenden Schultern und verschmierter Schminke, einen Kaffee trinkt und sich die Schläfen massiert, ist sie das personifizierte Elend. Ihre Mundwinkel weisen dann nach unten, was ihr ein völlig anderes Aussehen verleiht, fast als handele es sich um eine andere Person. Die fröhliche, stets zu Scherzen aufgelegte und bunt ausstaffierte Angélica hat nichts mit der traurigen Gestalt zu tun, die, wenn sie nüchtern und allein ist, ihre seelischen und körperlichen Wunden nicht mehr übertüncht. Es kommt nämlich durchaus vor, dass Angélica mit einem blauen Auge oder Schrammen an den Armen nach Hause kommt. Ich frage sie nie danach, denn ich ahne, dass es ihr schwerfallen würde, mit mir darüber zu reden.
Ein Gesprächsthema gibt es aber wenigstens, bei dem wir beide uns wohlfühlen, bei dem keine von uns das Gefühl hat, der anderen über- oder unterlegen zu sein und bei dem wir uns nicht verstellen müssen: Lu.
Angélica hat mir erzählt, dass sie ihn von früher kennt. Sie habe bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr auf einer Fazenda gearbeitet, als Melkerin und Kuhhirtin. Ich musste lachen, als ich das zum ersten Mal hörte, denn das Bild einer Angélica, die in derben Kleidern auf einem Melkschemel hockt, lässt sich nur schwer mit dem Bild vereinbaren, das sie jetzt bietet.
Wenn sie von Lu spricht, erhellt sich ihr Gesicht, als sei die Rede von einem Heiligen. Ich glaube, Angélica ist insgeheim in Lu verliebt, aber als ich sie darauf anspreche, weist sie das weit von sich.
» In diesen Lümmel? Bist du verrückt? « , schreit sie spitz auf. » Ich suchâ mir einen besseren Mann, einen mit Geld, der mir Schmuck kauft und mich in einer schönen Kutsche herumfahren lässt. «
» Aber Lu scheint doch ein ganz netter Kerl zu sein « , insistiere ich.
» Nett, pah! Was will ich mit einem netten Mann, der sich von der Hand in den Mund ernährt? Einen feinen Schnösel hättâ ich gern. So einen wie den, vor dem du davongelaufen bist. Tja, Schätzchen, da guckst du, was? Lu hat mir ein bisschen was über dich erzählt. Aber so ist das im Leben: Dir rennen die reichen Kerle die Bude ein, und du willst sie nicht, weil du noch an die ewige Liebe glaubst, und mich wollen die reichen Säcke nicht, weil ich eine dicke Negerin bin und eine Schlampe noch dazu. «
» Aber Angélica! « Obwohl ich inzwischen an ihre ordinäre Redeweise gewöhnt sein sollte, treiben mir ihre schonungslosen Worte die Schamesröte ins Gesicht. Wie kann sie nur so niedrig von sich selbst denken? » Du bist doch eine sehr hübsche Frau und du hast ein gutes Herz. Ich bin sicher, du hast jede Menge Verehrer, unter denen bestimmt auch ein braver Mann ist, der dich gut versorgen kann. «
» Ich will aber keinen braven Mann. Ich will einen reichen Mann, kapierst du das nicht? «
Natürlich verstehe ich, was sie meintâ allerdings bevorzugen die reichen Männer, die ich kenne, einen anderen Typ Frau. Eine Ehefrau muss nun einmal auch repräsentieren, sie muss gute Manieren haben und gepflegte Konversation treiben können. Sogar unter den sehr wenigen Schwarzen, die es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben, dürfte es nicht allzu viele geben, die sich eine » Schlampe « als Mutter ihrer Kinder wünschen.
» Guck mich doch nicht so an, als wäre ich eine Küchenschabe. Wenn ich so aussehen würde und so vornehm reden könnte wie du, dann hätte ich mir schon längst einen Millionär geangelt. «
» Auch wenn er ein Schuft ist? «
» Klar. Sind die Millionäre nicht sowieso alle Schufte? «
» Ich weià nicht. Nein, ich glaube nicht. Ich kenne ein paar⦠«
» Siehst du! « , unterbricht sie mich. » Du kennst diese Kerle wenigstens. Ich kenne von ihnen nur einzelne Körperregionen, die sie⦠«
» Bitte! Verschone mich damit. «
Angélica, die gerade noch einen bitteren Gesichtsausdruck hatte, mit Falten zwischen Nase und Mundwinkeln, verzieht ihr Gesicht zu einem Lächeln, was ihr augenblicklich
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