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Janusliebe

Janusliebe

Titel: Janusliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mier
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sich nicht hinter endlosen Zahlenkolonnen oder Stapeln von Kontoaus-
zügen. Sie hetzte nicht von Termin zu Termin, um vor ihren eigenen Sehnsüchten
und Bedürfnissen zu fliehen.
Wieder erschrak Lawrence heftig. Was war denn nur mit ihm los? Was machte
ihn so konfus, dass sich solche Gedanken in sein Hirn schleichen konnten?
Sollte es tatsächlich an dieser jungen Frau liegen, dass sich die Welt heute ir-
gendwie anders drehte?
Noch am Morgen hatte alles ganz und gar normal ausgesehen. Lawrence hatte
sich gefühlt wie immer, und dann war Carry in sein Büro marschiert und alles in
ihm wuselte plötzlich vollkommen durcheinander.
«Du siehst aus, als wäre gerade ein Gespenst durchs Lokal geschwebt», stellte
Carry lächelnd fest.
Lawrence riss sich zusammen. Er schüttelte den Kopf, als könnte er die lästi-
gen Gedanken darin verscheuchen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf
Caroline, die ihn skeptisch betrachtete.
«Tut mir leid, aber ich habe in letzter Zeit einfach zu viel gearbeitet», redete er
sich rasch heraus, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen. Aber Carry nahm
das Thema sofort auf.
«Warum spannst du nicht einmal ein paar Tage aus?» So wie sie das sagte,
klang es, als stünde draußen auf der Straße bereits ein Flieger, in den Lawrence nur
einsteigen musste. «Übergib deinem Bruder den ganzen Arbeitswust und jette für
ein, zwei Wochen auf die Bahamas oder in irgendein anderes Urlaubsparadies. Das
ist doch kein Problem.»
Lawrence sah sie an, als wären ihr plötzlich grüne Haare gewachsen.
«Meinem Bruder?», wiederholte er fassungslos. Und dann hastig, überstürzt:
«Eher würde ich den nächstbesten Straßenkehrer an meinen Schreibtisch set-
    zen. Der bringt mit Sicherheit mehr Verantwortungsbewusstsein mit als Vincent.
Nein!» Lawrence schüttelte den Kopf. «Vincent den Betrieb überlassen bedeutet so
viel wie Konkurs anmelden.»
Carry legte die Gabel auf den Teller und heftete den Blick ihrer bernsteinfarbe-
nen Augen auf Lawrence’ Gesicht, das langsam errötete.
«Hast du deinem Bruder überhaupt schon mal eine Aufgabe übertragen?»
Lawrence stieß die angestaute Luft aus seinen Lungen.
«Als Junge durfte er am Wochenende immer meinen Wagen waschen.»
Carrys unverhohlener Heiterkeitsausbruch brachte ihm zu Bewusstsein, dass
er sich eben verraten hatte.
«Meine Güte, ja! Ich traue ihm vielleicht zu wenig zu, aber dem Jungen fehlt
jeglicher Ehrgeiz. Er hat nur sein Vergnügen im Sinn.»
«Hast du dich schon mal mit ihm darüber unterhalten?», beharrte Carry auf
dem unangenehmen Thema. «Ich meine, so richtig unterhalten. Nicht angebrüllt
und ihn von vornherein verurteilt.»
Lawrence wich ihrem Blick aus.
«Nun ja, in letzter Zeit weniger», gab er widerstrebend zu. «Seit er diese unsin-
nige Idee mit der Heirat hat, gehen wir uns aus dem Wege.»
«Siehst du.» Carry lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete Lawrence
zufrieden. «Vielleicht solltest du mal das Gespräch mit deinem Bruder suchen. Es
kann doch sein, dass Vincent dir Dinge eröffnet, von denen du bisher gar nichts
wusstest. Zum Beispiel, dass er gar nicht möchte, dass du aus eurem Elternhaus
ausziehst.» Lawrence zuckte hilflos die Schultern.
«Nun ja, so direkt hat Vincent das auch nicht gesagt», murmelte er wie ein
Schuljunge, den man beim Spicken erwischt hat. «Aber es ist doch klar, dass er es
wünscht. Und selbst wenn Vincent noch nicht auf die Idee gekommen ist, seine
Freundin wird schon dafür sorgen, dass es ihm einfällt. Schließlich will sie die Al-
leinherrschaft über das gesamte Terrain.»
Carry streckte die Hand aus und legte sie sanft auf Lawrence’ Finger, die nervös
mit der Gabel spielten. «Warum nimmst du die Dinge nicht so, wie sie sind? Dein
Bruder hat sich verliebt, das ist eine Tatsache, gegen die deine Bedenken gar nichts
ausrichten können. Weißt du, je lauter du dagegen lamentierst, desto fester wird
Vincent an seiner Liebe festhalten. Druck erzeugt Gegendruck, das ist ein bekanntes
physikalisches Gesetz.» Carry schmunzelte gutmütig. «Lass deinen Bruder doch sei-
nen Weg gehen. Er ist alt genug, um alleine aufzustehen, wenn er hinfallen sollte.»
Sie schenkte Lawrence ein Lächeln, das selbst einen Stein zum Schmelzen ge-
bracht hätte. «Toleranz macht das Leben viel erträglicher. Versuch’s mal, es ist gar
nicht so schwer, wie du vielleicht denkst.»
    Es war, als hätte sie eine Zauberformel ausgesprochen.

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