Janusliebe
Aber ich glaube nicht daran
– jedenfalls nicht an das, was uns träumerische Poeten da immer einreden wollen.
Verständnis, ja! Sympathie, auch ja! Aber Liebe ...» Himmel, was rede ich denn da für einen Stuss! Lawrence schüttelte über sich selbst erstaunt den Kopf. Wieso quassel-
te er derart dämliches Zeug? Wollte er Carry abschrecken oder sich selbst ein Bein
stellen? Und weshalb? Weil er gerade dabei war, sich in diesen süßen Wuschelkopf
zu verlieben, und Angst hatte vor seinen eigenen Gefühlen?
«Ich kann damit nichts anfangen», plapperte er weiter, obwohl er wusste, dass
es Unsinn war. «Das ist mir alles viel zu abstrakt.»
«Also, ich glaube daran», antwortete Carry schwach. «Und ich glaube auch,
dass dieses Mädchen deinen Bruder liebt.» Sie versuchte Lawrence’ abwehren-
de Miene mit einem Lächeln zu erweichen. «Sieh das doch nicht so schrecklich
schwarz, nur weil du selber nicht lieben kannst.»
«Mag sein.» Lawrence ließ sich nicht aufheitern. «Für mich ist das Ganze ein
rein biologischer Vorgang. Vincent wird das auch noch begreifen. Immerhin stam-
men wir aus demselben Stall.»
«Hoffentlich nicht», rutschte es Carry heraus, was Lawrence jedoch Gott sei
Dank überhörte.
Für Daphne wäre es das Ende, wenn sich Vincent eines Tages in das charak-
terliche Ebenbild seines Bruders verwandeln würde. Daphne liebte Vincent mit
seinem sanften Gemüt und dem großen Herzen.
Die beiden hatten sich vor etwas mehr als einem Jahr auf der Eisbahn kennen
gelernt. Es war die buchstäbliche Liebe auf den ersten Blick gewesen. Daphne hat-
te sich gerade einen Liebesapfel gekauft, auf die sie schon als Kind ganz verrückt
gewesen war. Gerade als sie voller Genuss in das mit rotem Zuckerguss kandierte
Obst beißen wollte, hatte Vincent von einem Freund einen kameradschaftlich ge-
meinten Stoß in den Rücken erhalten, sodass er gegen Daphne geprallt war, wor-
auf ihr vor Schreck der Apfel entfallen war.
Die beiden hatten sich angesehen und – rums – Amors Pfeil hatte ein Ziel ge-
funden und voll ins Schwarze getroffen.
Auch Carry hatte den jungen Mann mit den fröhlichen Augen auf Anhieb ge-
mocht. Erst viel später, als sie erfuhr, dass er der jüngere Bruder des gefürchteten
Lawrence M. Carlson war, waren ihr erhebliche Zweifel an der Verbindung gekom-
men. Aber Daphne hatte fest zu ihrem Vincent gehalten.
Vor vier Wochen hatte Vincent darauf bestanden, Daphne seinem Bruder
vorzustellen. Das Treffen hatte in einem fürchterlichen Streit geendet, in dem
Lawrence der Freundin seines Bruder Raffsucht und Geldgier vorwarf. Nun woll-
te Vincent ohne den Segen seines Bruders heiraten, aber Daphne litt unter dem
Streit zwischen den Brüdern und hatte Carry als rettenden Engel vorgeschickt, der
Lawrence einerseits von der Wahrhaftigkeit ihrer gegenseitigen Liebe überzeugen
und zugleich die Brüder wieder miteinander versöhnen sollte.
Carry war zwar ganz und gar nicht von ihren diplomatischen Fähigkeiten
überzeugt (ehrlich gesagt, behauptete sie von sich, überhaupt keine zu besitzen),
aber um Daphne einen Gefallen zu tun, war sie schließlich doch zur Mission Im-
possible aufgebrochen.
Jetzt saß sie hier mit Lawrence am Tisch und hörte sich seine Meinung zum
Thema Liebe und Ehe an, die er mit flammenden Worten kundtat.
«Liebe ist ein Geschenk», sagte Carry laut, um Lawrence zu übertönen. «Der
eine erhält es, dem anderen wird es nie zuteil.»
«Liebe ist eine Krankheit», konterte Lawrence scharf, doch die Schärfe war
gegen sich selbst gerichtet, weil er deutlich spürte, dass er gerade dabei war, seine
eigenen Theorien umzurennen. Zum anderen verwirrte es ihn total, dass er über-
haupt über solche Dinge sprach, noch dazu mit einer Angestellten, die morgen
wahrscheinlich jede Silbe davon im Betrieb herumtratschen würde. Er musste
komplett idiotisch geworden sein, sich dieser Gefahr auszusetzen!
Halt den Mund und rede über unverfänglichere Sachen!, befahl Lawrence sich
selbst. «Liebe ist nichts weiter als eine Kinderkrankheit wie Masern, Mumps oder
Windpocken», hörte er sich sagen. Hä?, nein, stopp, du wolltest das Thema wechseln! «Irgendwann, in jungen Jahren, befällt sie einen Mann und später ist er nach ent-
sprechenden Erfahrungen dagegen immun.» Zu spät! Jetzt hatte er sich sowieso
um Kopf und Kragen geplappert. Lawrence lächelte spöttisch. «Übrigens: Ich hat-
te nie Masern oder dergleichen und bin sehr dankbar
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