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Janusliebe

Janusliebe

Titel: Janusliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mier
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Lawrence fühlte sich
plötzlich von einem ungeheuren Druck befreit. Er nahm Carrys Hand zwischen
seine eigenen Hände und führte sie behutsam an seine Lippen. Ihre Haut dufte-
te nach Zimt und Pfirsichen, ein Duft, der ihm schon vorhin im Büro aufgefallen
war. Es tat gut, diese Hand zu halten, die zarten Finger zu berühren, die ihn an
Schmetterlingsflügel erinnerten, so feingliedrig und leicht fühlten sie sich an. Fast
befürchtete er, sie zwischen seinen eigenen kräftigen Händen zu zerquetschen.
«Du solltest endlich deine Hähnchenschenkel in Angriff nehmen», lächelte
Carry und entzog ihm mit einer sanften Bewegung ihre Finger.
Lawrence blickte irritiert auf seinen Teller. Er hatte vollkommen vergessen,
dass er hungrig war, und jetzt fühlte er sich innerlich so aufgewühlt, dass ihm der
Anblick der knusprig gebratenen Fleischteile leichte Übelkeit verursachte. Mit
einer angewiderten Geste schob er den Teller von sich und versenkte sich stattdes-
sen hingebungsvoll in Carrys Anblick, die mit gesundem Appetit die Reste ihrer
Plata Provinciale verzehrte.
Lawrence beneidete sie direkt, als sie nach dieser Kalorienbombe sogar noch
eine Schale Crema Catalan verspeiste. Er hätte ewig so sitzen können und Carry
beobachten, aber die Zeit verrann viel zu schnell, und Lawrence wollte doch so
viel wie möglich aus diesem gestohlenen Tag herausholen.
«Lass uns etwas ganz Verrücktes anstellen», flüsterte er Carry zu, als sie beim
Kaffee angelangt waren.
Carry blinzelte ihm über den Rand ihrer Tasse hinweg belustigt zu. «Schlage
etwas vor, ich mache mit», forderte sie fröhlich.
«Dann geh mit mir ins Bett.»
Noch bevor die letzte Silbe dieses unmöglichen Satzes über seine Lippen ge-
sprungen war, hätte Lawrence sich selbst ohrfeigen, vors Schienbein treten und in
den Hintern beißen können. Wie konnte er nur so taktlos daherreden? War er ir-
regeworden? Aber es war zu spät, die Worte standen wie mit riesigen Leuchtbuch-
staben geschrieben zwischen ihnen, und kein noch so magischer Zauber konnte
sie wieder ungesagt machen.
Carry stellte ihre Tasse betont langsam auf den Unterteller zurück und sah
nachdenklich auf Lawrence, der vor Scham am liebsten mitsamt seinem Stuhl im
Erdboden versunken wäre.
«Die Idee an sich ist nicht schlecht», stimmte Carry zu seinem sprachlosen Er-
staunen zu. «Ich meine damit, dass du mir wirklich gefällst. Was mir nicht gefällt,
ist, dass du einen solchen Wunsch als pure Reaktion auf irgendwelche überschüs-
sigen Hormone betrachtest.» Sie griff über den Tisch und tätschelte Lawrence’
Handrücken. «Sei nicht böse, aber das ist nicht mein Stil. So ein bisschen Erotik
    muss schon dabei sein. Das gewisse Kribbeln, von dem du ja leider nichts wissen
willst. Sollen wir stattdessen nicht lieber in eine Disco gehen oder ins «Sweet Dai-
sy»? Da gibt es jeden Mittwoch Countrymusic.»
«Gute Idee», stimmte Lawrence zu, wobei er sich als absoluter Volltrottel fühl-
te, der von einem Fettnäpfchen ins nächste tappte. «Aber ich warne dich. Ich habe
seit Jahren nicht mehr getanzt.»
«Macht nichts, ich bin Weltmeisterin im Zurücktreten» Carry lachte un-
beschwert. Sie hob ihre Tasse und prostete Lawrence übermütig zu. Er tat es ihr
nach. Ihr Frohsinn war wie ein Heer von Bakterien, das auf ihn einstürmte und
gegen das es weit und breit kein Serum gab, mit dem er sich vor einer Lebenslust-
Infektion schützen konnte.
Lawrence wollte sich auch gar nicht schützen. Er wollte endlich einmal nichts
weiter als rundherum glücklich sein.
———————
Die kleine Nachttischlampe beleuchtete milde den weißen Porzellanclown,
der neben der Leuchte kniete (ein Relikt aus ihrer frühen Teenagerzeit, das sie in-
zwischen scheußlich kitschig fand und von dem sie sich trotzdem nicht trennen
mochte) und ließ den übrigen Raum in ein angenehmes Halbdunkel zurückwei-
chen.
Vincent Carlson legte den Telefonhörer zurück und tappte auf bloßen Füßen
zum Bett. Er ließ sich auf der Matratze nieder, die unter seinem Gewicht leise
knarrte.
«Lawrence ist noch nicht zu Hause», sagte er zu Daphne, die zu ihm aufblick-
te.
Sie rappelte sich hoch und warf einen Blick auf die kleine Uhr, die neben dem
Clown stand.
«Seltsam.» Ihre Stimme klang beunruhigt. «Dass Carry nächtelang unterwegs
ist, kenne ich ja. Aber warum ruft sie nicht an, um uns zu berichten, wie das Tref-
fen mit deinem Bruder verlaufen ist? Er wird ihr doch

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