Janusliebe
tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
Draußen dämmerte ein neuer Morgen herauf, der die Geister der Nacht ver-
trieb.
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Obwohl Carry sicher war, dass sie den Weg umsonst machte, ging sie am
nächsten Morgen bei der Polizeistation vorbei, ehe sie zur Redaktion fuhr. Als sie
das Gebäude eine Stunde später wieder verließ, hatte sie die Bestätigung für ihre
Annahme erhalten. Die Beamten schienen ihren Schilderungen zwar aufmerksam
zu lauschen, da sie jedoch keine konkreten Angaben machen oder Beweise vorle-
gen konnte, schickten die Polizisten sie mit dem Rat «Passen Sie einfach auf und
sammeln Sie Beweise» schließlich fort.
«Wir hätten wenigstens den Umschlag aufheben sollen», sagte sie kurze Zeit
später zu Robby, als sie sich auf dem Flur des Verlagsgebäudes begegneten. «Aber
auf bloße Verdächtigungen hin können die Cops nun mal nichts machen.»
«Und was haben sie zu dem Beinahe-Unfall und dem Verfolger gesagt?»
«Robby.» Carry hob hilflos die Hände. «Ich habe diesen Menschen doch noch
nicht einmal gesehen! Ich habe nur gespürt , dass jemand hinter mir her war. Auf
solche Aussagen geben die Polizisten nichts.»
Robby knurrte unzufrieden.
«Okay», seufzte er schließlich. «Dann werden wir eben rund um die Uhr auf
dich aufpassen müssen.»
«Lass es sein», wehrte Carry ab. «Wahrscheinlich habe ich mir diesen Verfol-
ger tatsächlich eingebildet. Ich will nicht ständig mit einer Eskorte rumlaufen.»
Das schien auch nicht nötig zu sein, denn in den kommenden Tagen passierte
nichts, was irgendwie darauf hindeutete, dass Carry in Gefahr war. Es schien so, als
habe der unsichtbare Gegner seinen Plan, sie zu verunsichern oder zu erschrecken,
aufgegeben, oder es hatte sich tatsächlich bei allen Vorfällen um unglückliche
Umstände beziehungsweise um Einbildung gehandelt.
Allmählich begann Carry, sich zu entspannen.
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«Mit Lawrence ist es nicht mehr auszuhalten!» Vincent ließ sich stöhnend in
einen Sessel fallen und schmiegte aufseufzend seine Wange an Daphnes Arm, die
sich neben ihm auf der Armlehne niedergelassen hatte.
«Ich bin nur froh, dass wir in einer Woche heiraten und dann in die Flitterwo-
chen fahren. Sonst würde ich glatt einen Brudermord begehen.»
Er drehte den Kopf ein wenig und sah zu Carry hinüber, die mit einer Illustrier-
ten auf der Couch hockte, scheinbar nicht an dem Gespräch interessiert.
«Heute haben Doreen Monaghan und Svenja Hartcliff gekündigt», erzählte
Vincent weiter. «Ausgerechnet Svenja, die seit drei Jahren meine Sekretärin ist
und Doreen ...» Vincent schüttelte den Kopf. «Die gute Doreen! Ich begreife es
nicht. Lawrence muss völlig übergeschnappt sein!»
Da Carry immer noch keine Reaktion zeigte, sondern sich noch tiefer hinter
der Illustrierten verschanzte, wandte sich Vincent ratsuchend an Daphne, die ihm
zärtlich den Nacken kraulte.
«Er hat sie regelrecht vergrault mit seiner anhaltenden Gewitterlaune. Keiner
aus der Belegschaft geht noch freiwillig in Lawrence’ Büro.»
Daphne nickte mitfühlend. Sie hatte Lawrence erst vor wenigen Tagen erle-
ben dürfen, als sie zu einem kurzen Besuch in der Villa gewesen war. Gewitter-
laune war noch untertrieben für die Stimmung, die er verbreitet hatte. Daphne
war heilfroh gewesen, das Haus nach einer Stunde verlassen zu können, ohne ihm
den Hals umgedreht zu haben. Große Lust dazu hatte sie jedenfalls verspürt. Aller-
dings war Daphne inzwischen davon überzeugt, dass sie damit einigen Menschen
einen riesigen Gefallen getan hätte.
«Vielleicht hat Lawrence sich ja beruhigt, bis wir aus den Flitterwochen zu-
rückkommen», versuchte sie Vincent ohne große Überzeugungskraft zu trösten.
«Er hat sich dann bestimmt an den Gedanken gewöhnt, dass sein kleiner Bruder
nun erwachsen ist und eine eigene Familie gründen wird. Vielleicht kommt Law-
rence sich ja auch überflüssig vor und hat Angst, dass du dich ganz von ihm ab-
wendest.»
«Also weißt du, Daphne!» Vincent warf ihr einen tadelnden Blick zu, so wie
man ein Kind ansieht, das etwas sehr Dummes gesagt hat. «Wenn ich alles glaube,
aber das nicht! Dazu kenne ich Lawrence zu lange. Der fühlt sich nur überflüssig,
wenn wir ihm seinen Schreibtisch wegnehmen, und Angst hat er einzig und allei-
ne vor der Steuerprüfung.» Er seufzte und schob Daphne von sich, um aufstehen
zu können. «Das Wort ‹Liebesentzug› kennt Lawrence überhaupt nicht.
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