Janusliebe
sind?»
Zweifelnd blickte Carry auf die bereits fertig geschriebenen Seiten, die sie auf
dem Tisch neben dem Drucker gestapelt hatte. Zweifellos würde sie diese Arbeit
bewältigen, aber wie sollte der kleine Betrug unentdeckt bleiben?
«Bitte!» Doreen hob die gefalteten Hände und machte ein Waldi-möchte-Hun-
dekuchen-Dackelgesicht. «Mister Carlson kümmert sich nicht um Personalfragen.
Ihn interessiert einzig und alleine, dass eine Sekretärin da ist, die seine Diktate
aufnimmt, seine Termine koordiniert und ihm Kaffee kocht. Er wird nie erfahren,
dass Sie nur durch einen dummen Zufall hier gelandet sind. Morgen sage ich ihm
dann, dass Sie ebenfalls den Job geschmissen haben und ALIDA uns keine Aus-
hilfskräfte mehr vermittelt.»
«Was weiß ich denn schon über Mister Carlsons Termine?» Carry schüttelte
den Kopf. «Nein, vergessen Sie’s ...»
«Um die Termine und den Kaffee kümmere ich mich», unterbrach Doreen sie
hastig. «Ehrlich, Sie brauchen nur zu schreiben. Wirklich, nur schreiben und auch
nur heute.»
Carry wandte Doreen den Rücken zu und sah aus dem Fenster. Okay, Zeit hatte
sie. Aber hatte sie auch Lust? Und wieso in drei Teufels Namen sollte sie einer völ-
lig Fremden einen Gefallen tun?
Weil du ein gut erzogener und hilfsbereiter Mensch bist, sagte ihr zweites Ich, das
zu allem Möglichen gebeten oder ungebeten seinen Senf dazugab. Und weil es eine
prima Gelegenheit ist, etwas mehr über diesen Lawrence M. Carlson zu erfahren. Du
wirst garantiert nie wieder die Gelegenheit bekommen, ihm so nahe zu sein.
Sie drehte sich wieder um.
«Was ist, wenn Mister Carlson persönlich bei der Agentur anruft, um sich bei-
spielsweise zu erkundigen, warum ich nicht wiedergekommen bin oder weshalb
sie ihm keine Kräfte mehr vermitteln will?»
«Das tut er ganz bestimmt nicht», wehrte Doreen lachend ab. «Für solche
Dinge bin ich zuständig. Außerdem hat der Big Boss hier im Laufe der Woche so
viele Schreibkräfte vergrault, dass es ihn kaum erstaunen wird, wenn auch Sie das
Handtuch werfen.» Ihr Zeigefinger tippte auf den Papierstapel. «Machen Sie nur
diese verdammten Briefe fertig, dann hat Mister Carlson vielleicht ein bisschen
bessere Laune und hört sich alles an, was Sie ihm zu sagen haben.» Ihr Blick be-
kam etwas Verschlagenes. «Aus diesem Grund sind Sie doch hier, nicht wahr?»
Carry nickte rein automatisch. Die Idee, als Aushilfssekretärin an Lawrence
heranzukommen, gefiel ihr jetzt schon ein bisschen besser. In ihrem Beruf muss-
te sie häufig mit Tricks arbeiten, um an ein bestimmtes Objekt, eine prominente
Person oder interessante Informationen zu gelangen. Wieso nicht auch in diesem
Fall, wo es immerhin um Daphnes Lebensglück ging?
Obwohl Carry überzeugt war, dass Lawrence M. Carlson einen seiner berühmt-
berüchtigten Wutanfälle bekommen würde, wenn sie mit ihrem Anliegen heraus-
rückte, reizte es sie doch, wenigstens den Versuch zu unternehmen, mit ihm zu
verhandeln. Damit hätte sie ihr Versprechen erfüllt und musste Daphne nicht als
völlige Versagerin unter die Augen treten. «Bitte!» Doreen legte die Hände zusam-
men und sah Carry flehend an. «Nur heute. Den Rest der Woche kriege ich schon
irgendwie rum, und am Montag ist hoffentlich Miss Jones wieder da. Dann läuft
hier alles endlich wieder in geregelten Bahnen.»
«Wer ist Miss Jones?», fragte Carry automatisch.
«Mister Carlsons Sekretärin.» Doreen grinste keck. «Glenda, Sie wissen schon,
die jetzt krank im Bett liegt.» Sie sah sich kurz um, als fürchtete sie belauscht zu
werden, und vertraute Carry augenzwinkernd an. «Wie gesagt, sie ist total ver-
knallt in ihn, aber Mister Carlson merkt es nicht.»
«Die Ärmste», seufzte Carry. Ihr tat jeder leid, der an einer unerfüllten Liebe litt.
Doreen zuckte nur nachlässig die Schultern.
«Ich glaube nicht, dass es ihr wirklich etwas ausmacht. Glenda ist eine von die-
sen Frauen, die jahrelang einen Mann aus der Ferne anbeten können, ohne jemals
auf die Idee zu kommen, ihm auf die Pelle zu rücken.»
Sie griff nach einem Kugelschreiber und tippte mit dem Ende auf der Schreib-
tischplatte herum.
«Wie ist es jetzt, spielen Sie mit?»
Carry dachte noch einmal über ihre Entscheidung nach, dann nickte sie. «Also
gut, ich tu’s.»
Man konnte buchstäblich den dicken Stein sehen, der Doreen bei dieser Zusa-
ge vom Herzen fiel.
«Gott sei Dank!» Sie ließ den Kuli fallen und hob tatsächlich die gefalteten
Hände
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