Jasmin - Roman
ihn zu ersticken. Er warf seine Zigarette weg und spuckte auf den Boden. Diese Zigaretten, sie hatten keinerlei Nutzen. Angst ergriff ihn, und wider seinen Willen stiegen Stimmen und Bilder in ihm auf, die er vergessen wollte. Er erinnerte sich an die Schusssalven, die damals, vor fast zwanzig Jahren, von al-Katamon auf Talbieh, sein damaliges Wohnviertel, niedergegangen waren. Er erinnerte sich, wie er hastig seine Wertsachen zusammengepackt und Umm George und die kleine Jasmin angetrieben hatte, alles an sich zu nehmen, was ihnen gerade in die Hände fiel, und zu fliehen.
Und da ging das Feuer von neuem los, hagelte aus jeder Richtung. Sollte sich die Geschichte wiederholen? Sollte er wieder fliehen müssen? Nein. Diesmal nicht. Er würde sein Haus nie
mehr im Stich lassen. Er würde nicht weichen und nicht wanken, nicht flüchten und nicht auf und davon gehen, nicht desertieren, nicht aufgeben, nie mehr herumwandern. Sumud, sumud, standhalten, an seinem Boden festhalten. Sein Hals schmerzte ihn, und er hustete, doch er fuhr fort zu murmeln: »Sumud, sumud …«
Was war los mit ihm? War auch er verrückt geworden? Und woher kam plötzlich dieser seltsame Husten? Er atmete tief durch, doch statt der klaren Luft von Scheich Dscharrah drang übel riechender Rauch in seine Lunge. Wie aus einem Albtraum erwachend, sagte er sich: Fasse Mut, die Festung von al-Mudawara werden sie nicht sprengen. Dieses Feuer stammt nicht von den Juden, das ist unser Feuer, die Mörser, Granaten und Maschinengewehre gehören dem Haschemitischen Königreich. Vielleicht sind ein paar ihrer Soldaten aus Angst desertiert, vielleicht ist es zufällig einem von ihnen gelungen, sich durchzuschmuggeln, oder vielleicht … Er wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Er stieg rasch vom Dach herab und lief zum Telefon. Diesmal rief er den Senator an.
»Sind die Soldaten noch da?«, fragte er in Panik.
»Nein, alhamdulillah, gleich als das Feuer eröffnet wurde, sind sie spurlos verschwunden.«
»Allah sei gesegnet«, seufzte Abu George, und seine Lebensgeister kehrten zurück. Er setzte sich neben das Radio. Die Stimme Damaskus’ spielte zum wer weiß wievielten Mal das Lied »Ithbach, ithbach, schlachten, schlachten«, auf Radio Amman schilderte der Sprecher den heldenhaften Kampf der Legion und ihre Eroberungen im Westjordanland und Jerusalem, einschließlich des Hauptquartiers der Vereinten Nationen im Haus des Hohen Kommissars. »Die Leichen der zionistischen Soldaten liegen auf dem Schlachtfeld als Beute für die schwarzen Krähen«, verkündete er. Abu George wischte sich den Schweiß von der Stirn und drehte gegen seinen Willen den Knopf weiter zum israelischen Sender in arabischer Sprache. Die ruhige Stimme des zionistischen Sprechers benannte die Namen der Stellungen, die die israelische
Armee eingenommen hatte. Seine Worte und die Interviews von der Front zeichneten ein völlig anderes Bild als das von Radio Amman. Zweifel stiegen in ihm auf. Ah, alles Lügner, schnaubte er. Das ist psychologische Kriegführung, da soll einer wissen, was in Wahrheit passiert.
Sein Haus wurde ihm zu eng, so fernab von den Ereignissen. Er wollte nicht schon wieder seinen Partner Abu Nabil anrufen, der in der Zeitungsredaktion Dienst hatte. Es war ihm unangenehm. Wie oft würde er ihn noch nach der Lage fragen, und wie oft würde ihm Abu Nabil noch die großen Siege Nassers dort und Husseins hier schildern? Es war schändlich, Zweifel an den Worten seines Freundes und der Macht der großen arabischen Gemeinschaft zu äußern. Jedes solche Gespräch stellte ihn als kleingläubig, als schwach, als Feigling dar. Schade, dass er heute Nacht nicht in der Redaktion geblieben war. Er warf einen Blick in die Küche und sah seine Frau dort kauern, sie schnäuzte sich leise. Als sie ihn erblickte, versuchte sie zu lächeln. Er wusste, dass ihr die Sehnsucht nach Jasmin, ganz besonders jetzt, das Herz zerriss, und wie sollte er sie da verlassen und hinausgehen? Doch er musste unbedingt ins Stadtzentrum.
Abu George setzte sich neben sie, doch sie erhob sich, um ihm ein Kännchen Kaffee und eine Karaffe Wasser mit Minzeblättern zu servieren. Danach streichelte sie seinen Kopf und zog ihn an ihre Brust, wie es ihre Art war in schweren Stunden. Ungeduldig schüttelte er ihre Umarmung ab, trank das Wasser und den Kaffee in hastigen Schlucken, als erfüllte er eine Pflicht, und erhob sich. Der kochend heiße Kaffee brannte in seinem Hals.
»Was hast du es so eilig,
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